N.N. – Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antisemiten * Rezension von: ISF, Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antisemiten

N.N.

Initiative Sozialistisches Forum. Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten

In den Kreisen des Freiburger “Instituts für Sozialkritik e.V.” ist man seit mehr als zwanzig Jahren damit beschäftigt, dem Kommunismus, Marx zufolge “das aufgelöste Rätsel der Geschichte”, auf die Spur zu kommen, und zwar vorwiegend dadurch, daß man den durchaus nicht seltenen Versuchen, demselbigen im Kontext der Arbeiterbewegungen, aber auch der diese so gerne belehrenden bürgerlichen Intelligenzler theoretisch oder gar praktisch auf die Sprünge zu helfen, ideologiekritisch zu Leibe rückt, auch wenn man mittlerweile erkannt hat, so läßt sich dem einleitenden Text “Der Kommunismus und Israel” des von der Initiative Sozialistisches Forum herausgegebenen Bandes Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und die linksdeutsche Ideologie (Freiburg: ça-ira Verlag, 2002,195 S.) entnehmen, daß “Ideologie … gegen Kritik immun ist”, was natürlich nicht daran hindern soll, weiterhin Kritik zu üben, da man ja immerhin noch Recht behalten kann. Diesem Text, zuerst im Frühjahr 2002 als Flugblatt veröffentlicht, kann man weiterhin entnehmen, daß das Rätsel Kommunismus wohl vor seiner Lösung steht. Für den Staat Israel, der “als Reaktion auf das Dementi aller Versprechungen der bürgerlichen Nationalrevolution”, als “Reaktion auf den Verrat an Aufklärung und Weltrevolution” entstanden ist, haben “die üblichen Muster der bürgerlichen Rollenverteilung … keinerlei Geltung”. Die “spezifische Qualität dieses Staates” realisiert sich folglich in einer “Einheit von Staat und Regierung im Übergang von einem unerträglichen Alten (der Vernichtungsdrohung) zum noch nicht erreichten Neuen (der herrschaftslosen Gesellschaft)”. Konsequenterweise ist Ariel Scharon, der diese “Einheit von Staat und Regierung” zur Zeit gewissermaßen personifiziert, von dem aber “gewiß nicht behauptet werden (soll)”, er sei “der Lenin von Israel”, indem er “den antifaschistischen Kampf als eine Art israelische Ausgabe von Buonaventura (!) Durruti (führt)”, “näher dran … am Kommunismus als seine Kritiker”, insbesondere natürlich jener aus den ihn und seine Politik kritisierenden bundesdeutschen linken Milieus. “In dieser Perspektive”, so die Schlußfolgerung, “ist Israel der bewaffnete Versuch der Juden, den Kommunismus noch lebend zu erreichen” und angesichts des “historische(n) Zusammenhang(s) der Katastrophen und als Abwehr der kommenden, … (nimmt) heute die militante Aufklärung die Gestalt Ariel Scharons und der Panzer der israelischen Armee an.” Wann, so fragt man sich unweigerlich, werden sich die ersten bewaffneten “Antideutschen Brigaden” auf den Weg nach Israel machen, um dessen Grenzen gegen das völkische Kollektiv der Palästinenser und deren organisierten Terrorismus zu verteidigen? Aber vielleicht möchte man auch nur, in guter deutscher seminarmarxistischer Tradition, zwar bedingungslos radikal, aber durchaus nicht unbedingt konsequent sein. Da mag es dann genügen, daß die “ Zionisten” agieren, so wird, über Scharon und seine Panzer hinaus argumentierend, festgestellt, “als hätten sie sich der Bewahrheitung der ‘Geschichtsphilosophischen Thesen‘ Walter Benjamins verschrieben”, eine ihnen zukommende “historische Mission” zu erfüllen haben. Scharon als Weltgeist im Panzer, in “historischer Mission” unterwegs zum Kommunismus, aber “natürlich ohne es zu wollen”, wie es sich für einen zwar schon ordentlich bewaffneten, aber noch nicht ganz zu sich selbst gekommenen Weltgeist gehört: Es ist doch einigermaßen verwunderlich, daß deutsche Kritik, trotz aller inhaltlichen Berechtigung an den Eskapaden deutscher linker Antizionisten – wie die anderen, bis auf einen ergänzenden Anhang 2 bereits aus der ersten Auflage des Bandes aus dem Jahre 2000 bekannten Texte durchweg zeigen –, am Ende dann doch noch positiv werden muß; da tröstet es wenig, daß auch die Konkurrenzkritiker aus Nürnberg in der Zwischenzeit positiv angedockt haben – dort arbeitet man, wie Chefkritiker Kurz in seinem “Weltordnungskrieg” mitteilt, an einem “erweiterten, gesamtgesellschaftlichen Kibbuz-Begriff”, und, ist dieser erst einmal entwickelt, an “einem transnationalen, alle Grenzen hinter sich lassenden Welt-Kibbuz”. Man macht sich wohl der Häresie verdächtig, wenn man davon überzeugt ist, daß die realen Israelis von solcherlei “historischen Missionen”, auch wenn sie in deutschen Landen entworfen worden sind, nicht zu überzeugen sein werden, sei es, weil sie ihrer ganz einfach nicht bedürfen, sei es, weil sie aus guten Gründen gegenüber in Deutschland konzipierten “historischen Missionen” grundsätzlich mißtrauisch sind. Es gehört wohl einige Chuzpe dazu, sich als Deutscher – gierend nach negativ begründeter Identität – ausgerechnet israelische Juden als Objekt politischer Identitätsstiftung auszusuchen und an ihnen die geschichtsphilosophischen Sehnsüchte nach jenem Kommunismus, den man in eigenen Landen nicht mehr finden kann, zu exekutieren. [ 1 ] Unbedingte Solidarität mit den jüdischen Bürger(inne)n Israels und mit dem Staat Israel gegen den islamfaschistischen Terror, sei er – in der Tradition der Muslimbrüderschaft – religiös begründet oder – in der Tradition der vom italienischen Faschismus und deutschen Nationalsozialismus beeinflußten Baath-Parteien – säkular begründet, verbunden mit einer ebenso unbedingten Absage an jegliche Variante von Antisemitismus, auch wenn er sich als Antizionismus, Antiamerikanismus oder Antiimperialismus drapiert, bedarf keiner geschichtsphilosophischen Begründungen, die zudem weniger auf die eigentliche Sache – hier die angesprochene unbedingte Solidarität –, sondern mehr auf eigene Befindlichkeiten – hier die desaströse Suche nach einer Identität als Kommunist – verweisen. Diese Suche wird spätestens dann fragwürdig, wenn man glaubt, die Kritik am völkischen Kollektiv Deutschland positiv wenden zu müssen und diese Positivität ausgerechnet im Objekt des Vernichtungswahns des deutschen völkischen Kollektivs, den Juden bzw. in Israel, dem Staat der Juden, zu finden; dieses Umschlagen antideutscher Negativität in proisraelische Positivität sieht zudem großzügigerweise darüber hinweg, daß es sich bei der israelischen Gesellschaft um eine bloß bürgerliche Gesellschaft handelt und nicht um Kommunismus. Einem apologetisch gewendeten Kommunismus, der sich positiv auf den, legt man traditionelle Kriterien an, eher rechten israelischen Premierminister Scharon als Buenaventuri Durruti sowie auf die protestantisch-fundamentalistische Bush-Regierung, die sich auf eine Art und Weise in das Amt gemogelt hat, die man ansonsten eher als Wahlbetrug bezeichnen würde, beruft, ist durchaus zu mißtrauen. Problematisch ist die identitätsstiftende Beschränkung auf Antisemitismus und Israel auch deshalb, weil der ursprünglich von der sogenannten Wiedervereinigung 1989 ausgehende antideutsche Impuls im Hinblick auf eine “Dekonstruktion” der deutschen Nationalgeschichte verloren zu gehen droht; 1989 bedeutete den von allen politischen Parteien und Organisationen – von braun über schwarz und rot bis grün – getragenen Anschluß an diese Nationalgeschichte und eben dieser Anschluß sollte Anlaß zur erneuten Infragestellung dieser Geschichte sein, die in Auschwitz endete. Man muß zudem kein Prophet sein um zu wissen, daß die radikale antideutsche Emphase, mit der man heute seine Identität als Kommunist in der Identifikation mit Israel zu finden glaubt, für manch einen nichts anderes ist als ein Ticket, mit dem er – aus späterer Sicht – seine (neo)konservative Wende eingeleitet haben wird. Man kennt die Bürgerkinder, die sich mit emphatischer Besessenheit aus parzellierter Weltbetrachtung jene Weltbilder zusammenbasteln, deren Überwindung sie dann eines nicht allzu fernen Tages als gel ungene und selbstkritische Einsicht in die Notwendigkeiten von je aktueller Realpolitik auf dem Markt der politischen und kulturellen Eitelkeiten anzubieten pflegen; auch hier heißt es von den Vereinigten Staaten zu lernen, in diesem Fall von der Geschichte der radikalen us-amerikanischen Linken der dreißiger und sechziger Jahre. Im übrigen scheinen sich die Antideutschen mittlerweile von Michael Naumann den Schneid abkaufen zu lassen, wenn dieser kürzlich auf der Titelseite der “Zeit” in direkter Anspielung auf Yassir Arafat den Tyrannenmord bejahte.

Anmerkungen

[ 1 ] Mittlerweile hat man sich offensichtlich dem grassierenden neoliberalen Privatisierungswahn ergeben und erhebt exklusiven Anspruch auf den Kommunismus. “Der Kommunismus gehört uns”, dekretierte Joachim Bruhn im Oktober 2003 im Rahmen einer in dem Duisburger Szene-Blättchen “T 34” ausgetragenen Kontroverse mit dem Berliner Konkurrenz-Antideutschen Justus Wertmüller, in der es vornehmlich um Inszenierungen und Rituale antideutscher Demonstrationen ging; was einmal aus guten Gründen als gesellschaftlicher Prozeß verstanden wurde, wird jetzt offensichtlich als Privatunternehmen auf dem beschränkten Markt exklusiver Radikalitäten gehandelt. Wenn einige Zeilen weiter zu allem Überfluß auch noch vom “kategorischen Imperativ der Revolution” die Rede ist, dann bleibt all jenen, die sich dem in der Tat sehr deutschen “kategorischen Imperativ”, auch nicht dem “der Revolution”, aus grundsätzlichen Erwägungen nicht verbunden wissen, nur noch die Hoffnung, daß sich hinter diesem Privatkommunismus nicht ein der Tradition des “preußischen Sozialismus” entstammender strammer “preußischer Kommunismus” versteckt.

Aus: Archiv für die Geschichte der Arbeit und des Widerstands N° 17 ( 2003), S. 825 – 827

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