Michael Holmes – “Djihad und Judenhaß” * Rezension von Matthias Küntzel, Djihad und Judenhaß

Michael Holmes

“Djihad und Judenhaß”

Die Terroranschläge in New York, in Israel oder auf Bali verfehlten eine intendierte Wirkung sicherlich nicht: Die Bilder und die Botschaft, die sie vermitteln, sind in die Köpfe der Menschen eingebrannt, niemand vermag sie zu ignorieren. Und dennoch scheinen sie niemanden zu erreichen.

Die emotionale Distanz zum Geschehen ist sicher nicht nur verständlich, weil sie notwendig, sogar geboten scheint: Wer von sich behauptet oder von Anderen verlangt, sich in Menschen einzufühlen, die aus einem Wolkenkratzer springen oder von einer Nagelbombe zerrissen werden, der ist nicht nur ein Lügner, sondern ein Zyniker.

Doch hinter und in diesem berechtigten Tabu scheint sich ein anderes, vielleicht noch gewichtigeres zu verstecken: das Tabu, dieses Geschehen beim Namen zu nennen.

Vor den Augen der Welt werden Menschen vernichtet. Wer das nicht versteht, will es nicht verstehen. Man muß kein Historiker des NS, kein Fachmann für den islamischen Kulturkreis sein, um zu wissen, daß israelische Buspassagiere oder die Besucher irgendeines Nachtclubs nicht Opfer eines Bürgerkrieges oder eines etwas ausartenden Befreiungskrieges wurden.

Sie sind Opfer eines Wahnsystems, das kein Ziel außer der Vernichtung kennt.

Daß das Wort der Vernichtung in all den Alltagsgesprächen, den Zeitungsartikeln und Buchtiteln zum Thema nicht auftaucht, das beharrliche Verschweigen des nur allzu Offensichtlichen, nämlich des Vernichtungsantisemitismus, der alle Verlautbarungen von al-Quaida über die Hamas bis zum Irak eint, sagt alles über das spätkapitalistische Massenbewußtsein im postfaschistischen Deutschland. Vor einem solchen Hintergrund In einer solchen Krisemuß schon der einfache Titel der Studie von Matthias Küntzel als Provokation erscheinen: Djihad und Judenhass – Über den neuen antijüdischen Krieg.

Die Grundthesen aber dürften mit Sicherheit die Wut des gesunden, deutschen Menschenverstandes auf sich ziehen. Auch sie sind denkbar einfach: Der heutige Islamismus hat seine wichtigste Wurzel im deutschen Nationalsozialismus.

Der NS hat den Islamismus aber nicht nur durch Waffenlieferungen und diplomatische Hilfe unterstützt, er teilt mit hat ihm das Zentrum seiner Ideologie: seine gefährlichste Botschaft übermittelt: den Nazis wie den Djihadisten gilt – Zitat – nicht nur alles Jüdische als böse, sondern alles Böse als jüdisch – Zitat Ende.

Der Kampf der Islamisten gegen die USA speist sich aus demselben antisemitischen Weltbild: Der “große Satan” – die USA – wird nicht nur wegen seiner Unterstützung für Israel, sondern als das imaginäre Zentrum einer materialistischegoistischen (und ergo: jüdischen) Weltordnung bekämpft. Gegen dieses “Babylon” soll die Volksgemeinschaft oder die Umma verteidigt werden.

Das ist im Grunde schon alles, was den Djihad kennzeichnet: Kein Übel, das in dieser Lüge nicht auf die jüdische Weltverschwörung zurückzuführen ist, und kein Problem, das nicht durch die Vernichtung des Judentums und nur durch diese beseitigt werden könnte.

In sorgfältigem und ausführlichem Quellenstudium zeigt Matthias Küntzel, daß der Kern dessen offen zutage liegt, was in der deutschen Öffentlichkeit, in der Politik und in den Feuilletons von Islamkundlern und Friedensforschern als verzweifelte Hilferufe der Unterdrückten in kaum verhohlener Sympathie verniedlicht wird: Noch nie hat ein Protagonist des Djihadismus mit der antisemitischen Zielsetzung hinterm Berg gehalten. Aus jedem maßgeblichen Dokument des politischen Islam seit den 20er Jahren – das weist der Autor unerbittlich nach – spricht die Ideologie der Vernichtung. Doch nie gerät das Buch zur kalten Faktensammlung.

Die Empörung über den behandelten Gegenstand, das Entsetzen über das wahnhafte Morden ist nirgends versteckt, sondern macht vielmehr die aufklärerische Kraft der Studie aus. Allerdings hält sich die Empörung im Hintergrund, weil sie darauf vertraut, daß der Gegenstand für sich selbst spricht: Blutbäder müssen nicht ausgemalt werden wo ihre Entstehung offen gelegt wird.

Die Struktur des Buches ist bestimmt durch die geschichtliche Entwicklung. Und daß die Geschichte ein solch dichtes Kontinuum bildet, ist bereits der Skandal. Von den Anfangstagen der ägyptischen Moslembrüder, von den Koalitionen des Mufti von Jerusalem mit Nazi- Deutschland, über alle die Kriege gegen Israel bis zu den Massakern des 11. September, überall arbeitet Matthias Küntzel den bei all den Veränderungen in Raum und Zeit immer gleichen antisemitischen Wahn heraus. Und dabei muß er keinem der vielen Details irgend Gewalt antun. Im Gegenteil: Gerade in den unscheinbaren Begebenheiten des Alltages, fern von den Kameras der Medien, zeigt sich die Realität islamischer Herrschaft am offensten, am direktesten.

Wer nur genau hinschaut, braucht keinen theoretischen Aufsatz über Antisemitismus mehr zu lesen. Wenn ein Junge an einer palästinensischen Schule mit tödlicher Säure übergössen wird, weil er ahnungslos fragt, ob die Menschen nicht vom Affen abstammen würden, so braucht es keine Interpretation um diese Botschaft zu entschlüsseln. Die Antisemiten liefern die Erklärung ihrer Ideologie mit der Tat.

Keineswegs speist sich der Islamismus -wies in deutschen und europäischen Medien, der UNO und in der Linken häufig und gerne beteuert – aus Hunger, Unterdrückung und Unterentwicklung. Er stellt keinen Terrorismus der Verzweifelten vor, die spontan auf Zwangslagen reagieren. Vielmehr führen die Islamisten einen Kampf für die “Eigentlichkeit” autochthoner Gemeinschaft gegen “westliche Dekadenz” und Kommunismus, die ihnen gleichermaßen dem “jüdischen Prinzip” entsprungen sind. Gegen das mit “dem Westen” identifizierte individuelle Glücks- und Wohlstandsversprechen setzt der Islamismus nichts als Verzicht, Entsagung und Barbarei.

In der Reflexion auf die gesellschaftlichen Umstände meistert Matthias Küntzel eines der ältesten Probleme des Antifaschismus. Er zeigt die Entstehung des radikalen Islam aus der Herrschaft von Staat und Kapital in einer Deutlichkeit, welche die Akteure dieses grausamen Spieles als bloße Anhängsel einer übermächtigen gesellschaftlichen Dynamik, als getriebene Charaktermasken erkennbar werden läßt. Und er entläßt sie doch keinen Moment aus der Verantwortung für ihr Tun. Die Mörder werden Mörder genannt und seien sie Friedensnobelpreisträger wie Arafat.

Schärfer noch als in den theoretischen Passagen geraten die Verhältnisse aber durch einen nur scheinbar naiven Blick ins Visier. Immer wieder stockt der Fluß der Darstellung und weicht all den naheliegenden Fragen, die – wie die nach des Kaisers neuen Kleidern – an unausgesprochenen Denkverboten rühren: Warum etwa liest niemand die Charta der Hamas oder die Erklärungen der Fatah, in denen diese Organisationen ihre antisemitischen Ziele unverblümt äußern? Warum wird jedes Selbstmordattentat in Europa ausgerechnet zur noch schärferen Verurteilung Israels verwendet? Warum wird gerade in Deutschland der Zusammenhang des 11. September mit der eigenen antisemitischen Geschichte nicht gesehen? Warum werden die größten europäischen Antisemitenaufmärsche seit 1945 ausgerechnet von Globalisierungsgegnern organisiert?

Verwunderung reißt das Altbekannte, das Einverleibte und Verdaute aus der Sphäre des Journalismus und stellt es in unmittelbaren Zusammenhang mit jener dunklen Welt der Vergangenheit, über die in Deutschland und in der arabischen Welt niemand sprechen will. Zitat: Und so werden heute mit schlafwandlerischem Instinkt wesentliche Muster der nationalsozialistischen Kapitalismuskritik als Empörung über den “Unilateralismus” der USA und als Verdammung des Scharonschen,, Vernichtungskrieges” gegen die Palästinenser mit neuem Leben gefüllt. – Zit at Ende

Auch die weltweite Ausbreitung dieser Projektion par excellence versucht das Buch nachzuzeichnen. Daß ihm das nur noch ansatzweise gelingt, ist ihm nicht vorzuhalten: bewegt sich dieser Hass doch inzwischen wie ein unübersehbares und unaufhaltsames Lauffeuer mit vielen Zentren.

Umso entschiedener betont Matthias Küntzel seine zentralen Anliegen, Zitat: Der Kampf gegen den Djihadismus setzt somit die Zero Tolerance- Position gegenüber dem Antisemitismus voraus. Falls der Judenhass überall in der Welt geächtet, isoliert, verfolgt und bestraft würde, wäre es auch mit dem Djihadismus vorbei. (…) Anerkennung und Verteidigung des jüdischen Staates oder islamistische Barbarei – dies ist der Wendepunkt vor dem die Menschheit im gegenwärtigen Moment ihrer Geschichte steht. – Zitat Ende

Diese Schlussfolgerung hätte nicht mehr ausgesprochen werden müssen, so zwingend resultiert sie aus dem Gang der Darstellung. Das Ziel des Buches ist so einfach wie der Terror, von dem es handelt: Es ist eine der dringend benötigten Waffen der Kritik für Israel, eine Kriegserklärung an den neuen Faschismus.

Aus: Brüche N° 2 (Januar 2003), S. 18f.

Trennmarker