Karl Pfeifer – Moishe Postone: Deutschland, die Linke und der Holocaust
Karl Pfeifer
Moishe Postone: Deutschland, die Linke und der Holocaust
Diese Aufsätze von Moishe Postone, die der Freiburger ça ira Verlag publizierte, verdienten von denen, die er kritisiert, von deutschen (und österreichischen) Linken aufmerksam gelesen zu werden. Postone ist vor allem ein gründlicher Denker, der seine Finger auf die wunden Stellen derjenigen Linken legt, die in Manichäismus behaftet sind.
Bereits 1977 stellte er in seinem Aufsatz “Stammheim und Tel Zaatar” Fragen über Moral und Politik, denen diese bis heute gerne ausweichen: ”Müssen wir, um den antiimperialistischen Standpunkt, den sich die meisten von uns im Laufe des letzten Jahrzehnts angeeignet haben, beizubehalten, alle Bewegungen, die sich als antiimperialistische deklarieren, dermaßen unkritisch umarmen?”
Insbesondere lehrreich sind die im zweiten Teil des Buches zusammengefassten theoretischen Erklärungen, die Auseinandersetzung mit der “Kritischen Theorie und der Problematik der Geschichte des 20. Jahrhunderts”. Postone beleuchtet in “Der Holocaust und der Verlauf des 20. Jahrhunderts” zwei grundlegende Probleme, Zivilisationsbruch einerseits und Marginalisierung des Holocausts, wie z.B bei Eric Hobsbawns “Das Zeitalter der Extreme” andererseits. In dieser Arbeit weist Postone auf den unter deutschen (und österreichischen) Linken nach 1967 starken Antizionismus hin, der zwei Funktionen gleichzeitig erfüllt(e). “Zum einen konnte durch die Gleichsetzung von Zionismus und Nazismus der Kampf gegen den Zionismus zum verschobenen Ausdruck des Kampfes gegen die Nazivergangenheit werden. Zum anderen finden im weit verbreiteten Bild des Zionismus antisemitische Bilder ihre Wiederkehr.”
Postones “Antisemitismus und Nationalsozialismus” ist vielleicht die gründlichste Kritik an einer auch bei Linken weit verbreiteten Oberflächlichkeit, welche die Vernichtung der Juden außerhalb des Rahmens einer Analyse des Nazismus behandelt und Antisemitismus eher als peripheres denn als zentrales Moment des Nationalsozialismus versteht. Auch diesbezüglich trifft er den Punkt: “Braucht sich eine deutsche Linke mit der Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nazis deshalb nicht zu befassen, weil es die Wirklichkeit des Zionismus gibt?”
Am aktuellsten ist der letzte Beitrag “Geschichte und Ohnmacht / Massenmobilisierung und aktuelle Formen des Antikapitalismus”, Text eines 2003 gehaltenen Vortrags, in dem er sich mit der arabischen Welt, mit dem dort weit verbreiteten Antisemitismus und mit der Rechtfertigung des blutigen Terrors durch Teile der Linken befasst.
Es ist zum Stehsatz der antiimperialistischen Querfrontkämpfer geworden, Israel als faschistischen “Apartheidstaat” abzuqualifizieren. Interessant ist, dass die südafrikanische Widerstandsbewegung ANC während des realen Apartheidsystems sich weigerte eine Terrorkampagne gegen südafrikanische weiße Zivilisten zu starten. Hinter Forderungen eine solche Terrorwelle zu starten stand neben Rachebedürfnissen auch die Überzeugung, die weißen Südafrikaner wären erst dann zur Abschaffung der Apartheid bereit, wenn sie genauso leiden würden wie die schwarzen Südafrikaner. “Das Zentralkomitee des ANC verweigerte solchen Forderungen jegliche Unterstützung, nicht nur aus taktischen oder strategischen Gründen, sondern auch aufgrund politischer Prinzipien. Das Argument lautete, dass Emanzipationsbewegungen nicht die Zivilbevölkerung zum Angriffsziel erklären.”
Auch wenn einige wenige Teile dieses 215 Seiten umfassenden Bandes für Nichtmarxisten oder Marxisten ohne grundlegende philosophisch-ökonomische Bildung schwer zu lesen sind, weil sie in einer Sprache geschrieben sind, die nicht allgemeinverständlich ist, verdient Moishe Postones Buch weite Verbreitung und eine breite Diskussion.
Erschienen in: hagalil.com