Michael Reich – Reproduktion von Links * Rezension zu Postone, Deutschland …
Michael Reich
Reproduktion von Links
Von Moishe Postone ist in diesem Jahr beim Freiburger Verlag ça ira dankenswerter Weise ein Aufsatzbüchlein erschienen, das sich mit einem der wichtigsten Themengebiete einer sich als antideutsch apostrophierenden deutschen (Ex-) Linken beschäftigt: dem Nazismus und seiner Aufarbeitung in der Bundesrepublik samt der dazugehörigen Linken. Bekannt geworden ist Postone mit seiner 1985 erschienenen Intervention »Brief an die westdeutsche Linke« und dem theoretischen Versuch von 1979, »Antisemitismus und Nationalsozialismus«, der in entscheidender Weise Standards für die Diskussion über den Zusammenhang von antisemitischer Denk- und kapitalistischer Warenform setzte. Postone kann dabei ohne Abstriche als einer der wichtigsten Stichwortgeber für die sich zu Beginn der neunziger Jahre herausbildenden, zuerst antinationalen, dann antideutschen Linken gesehen werden.
Dies wird in der Textsammlung Deutschland, die Linke und der Holocaust, in der sich neben den genannten Beiträgen noch acht weitere Aufsätze aus der Zeit zwischen 1977 und 2003 befinden, ohne weiteres deutlich. Die hier formulierten und für ihre Zeit neuen und entscheidenden Einsichten über die Notwendigkeit der Trennung von Rassismus und Antisemitismus sowie über die Bedeutung des Antisemitismus für den Nazismus wenden sich gegen die damals vorherrschenden ökonomistischen wie subjektivistischen linken Sichtweisen auf das »3. Reich«. Insofern dokumentiert der Aufsatzband auch heute noch größtenteils gültige Erkenntnisse der Kritischen Theorie des Antisemitismus. Problematisch ist die starke Fokussierung Postones auf den Begriff der Erklärung. Vollständig erklärbar sind die Schrecken der Judenvernichtung nicht, der Versuch der Auflösung des Geschehenen in Kausalbeziehungen läuft immer in Gefahr, die Handlungen der Täter zu rationalisieren. Neben dem Versuch einer Theorie des Antisemitismus reflektieren die Texte die Zeitgeschichte der deutschen Linken der letzten 25 Jahre.
Postone erweist sich in seinen Interventionen als engagierter Beobachter der deutschen Szenerie, der von seinem privilegierten Standpunkt aus immer wieder auf Verfehlungen und Verdrängungsprozesse hinweisen kann. Privilegiert kann man den Standpunkt nennen, weil er nicht gezwungen ist, jede Modewelle linker oder (modisch) exlinker Theoriedebatten mitzuver-folgen und zu kommentieren. So führt die materialistisch-historische Perspektive, mit der Postone Deutschland und dessen Linke analysiert, und die historische Perspektive, die sich aus dem Zeitraum ergibt, in dem die Texte entstanden sind, zu einigen Augenöffnern auf die heutige Diskussionslandschaft. Deutlich wird dabei, dass es einen bestmöglichen Umgang mit dem fortwirkenden Vergangenen »Auschwitz« nur geben kann, wenn man sich selbst als Teil der deutschen Tradition wahrnimmt, die, auch in ihrer linken Variante, nicht als geschichtslos begriffen werden darf. Es ist dieser Tradition nicht zu entkommen, wenn man sich abstrakt-voluntaristisch mit den Opfern der Deutschen identifiziert (sich also z.B. Gruppennamen wie »Zahal« gibt). Eine Identifikation mit den jüdischen Opfern – die auch dazu führt, den anderen Verbrechen des Nazismus keine Beachtung zu schenken – grenzt an jenen, von weiten Teilen der deutschen Linken getragenen Philosemitismus, der mit dem 6-Tage-Krieg 1967 in offenen Hass auf Israel umschlagen konnte.
Statt einer blinden, aus einer falschen Identifikation mit Israel und seinen jüdischen Bewohnern entspringenden Wut, ist in Postones Texten stets jene Empathie mit der leidenden Menschheit spürbar, die Grundlage jeder Antisemitismuskritik sein sollte. Folgerichtig ist ein zentraler Begriff seiner Kritiken und Interventionen auch der der Gewalt. Die Zentralität der Kritik an Gewaltverhältnissen und an den Ursachen menschlichen Leidens für Postones Denken drückt sich auch in seinem aus (anti-)deut-scher Perspektive hoch problematischen Postzionismus aus. Die Versuche der herausgebenden Initiative kritische Geschichtspolitik im Vorwort, Postone als Vordenker der Antideutschen zu vereinnahmen, sind angesichts von Forderungen nach einer »fundamentalen Kritik« an der israelischen Politik, die sowohl im ersten Text von 1977, wie auch im letzten von 2002 explizit werden, geradezu absurd. Angesichts der Postonschen Zionismuskritik wird die Schwierigkeit der vor allem in den letzten Jahren in hiesigen Diskussionen vehement eingeforderten Gleichsetzung von jeglichem Antizionismus mit dem Antisemitismus augenscheinlich. Der durchaus notwendigen Kritik am Postzionismus – der ja insbesondere in Deutschland gerne zur eigenen Schuldentlastung herangeführt wird – ist damit nicht gedient, zumal Deutschen ein Einspruchsrecht beim Prozess israelisch-jüdischer Identitätsfindung schlichtweg nicht zusteht.
Phase 2, Nr. 18, Dez. 2005, Literaturbeilage