Daniel Leon Schikora – Der Wahn vom Weltsouverän * Rezension zu: Gerhard Scheit, Der Wahn vom Weltsouverän

Daniel Leon Schikora

Der Wahn vom Weltsouverän

Vorbemerkung der Redaktion: Daß diese Buchrezension unseres Kollegiumsmitgliedes Daniel Leon Schikora einige Fragen aufwirft, war Absicht des Rezensenten, um den Leser dazu zu animieren, sich Fragen, die diese Buchbesprechung zwangsläufig provoziert, durch das Lesen des Buches, selber zu beantworten. Und daß es einige Fragen geben wird, davon sind wir überzeugt. Als Beispiel könnten es Fragen sein, ob es sich um ein Plädoyer für die Verteidigung des westlichen Souveränitäts-Begriffes handelt, ob die jüngsten Kontroversen um die gewaltsame Aufrechterhaltung der Seeblockade des Gazastreifens durch die israelische Kriegsmarine geeignet sind, schlaglichtartig die Bruchlinien zu beleuchten, ob es die politische Überfrachtung, Ideologiekritik, oder sogar die naheliegende Assoziation von Bürgerkrieg, Nationalsozialismus und parlamentarischer Demokratie sind, welche die europäische Vision vom ewigen Frieden nachdrücklich als “deutsch-europäische Entfesselung des Chaos” identifiziert.

Alles nur Wahn? ein, es ist eine Auseinandersetzung mit Krisenbewältigung, aus der die Sehnsucht nach dem Weltsouverän entspringt. Alle kritischen Fragen, die man sich nach dem Lesen der Rezension stellt, sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß einzelne Teile des Buches unbestrittenen Erkenntniswert besitzen. Dazu gehört auch die offen angesprochene Wirkungskraft des Wahns der weltweit operierenden Islamisten.
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Infragestellung des westlichen Souveränitätsbegriff als tendenziell antiamerikanisches und radikal antijüdisches Unterfangen

Scheit weist bereits in der “Einleitung” zu seinem Werk auf die Ambivalenz hin, von der europäische “Israel-Kritiker” und Parteigänger einer flächendeckenden .Verrechtlichung” internationaler Beziehungen im Hinblick auf die hegemonialen Politiken der Vereinigten Staaten geprägt sind: “Für einen massenmedialen Augenblick personifiziert Obama – wie einst Gorbatschow – , was als gemeinsamer Nenner aller, die es gut meinen und nichts wissen wollen, gelten kann: Möge doch dieser Präsident von innen her die gewaltsame Politik des Staates, der die anderen Nationen so einseitig dominiert, in die friedliche Macht einer gerechten Weltregierung verwandeln […]”. Aufgrund der Unaufhebbarkeit des ,,Gewaltverhältnis[ses] zwischen den Staaten” das dem “Kapitalverhältnis” zugrunde liege, könnten weder Obama noch einer seiner Amtsnachfolger der ihm zugedachten Rolle eines “Weltsouveräns” längerfristig gerecht werden. “Denn ganz gleichgültig ob sie nun rücksichtslos ihre eigenen Interessen verfolgen oder scheinbar als Weltpolizist im Namen des internationalen Rechts agieren – die falschen Freunde des Friedens und die echten Sympathisanten des heiligen Krieges sehen die USA, soweit sie Hegemon noch wirklich sind, als bloßen Handlanger einer bereits existierenden, aber unsichtbaren, negativen Weltmacht, die selbst nur an einer einzigen Stelle der Welt in Gestalt eines ganz kleinen Staates namhaft gemacht werden kann: Israel verkörpert die Weltverschwörung des Judentums” Die Fokussierung des Zorns praktisch aller “Weltinnenpolitiker” in- und außerhalb der EU auf Israel als eines prototypisch als nationalstaatlich fundierte bürgerliche Republik auftretenden Gemeinwesens muß die Infragestellung des Prinzips nationaler Souveränität als ein radikal antijüdisches Unterfangen erscheinen lassen: Die Politik Israels “demonstriert, daß es keinen Weltsouverän gibt, ja, daß jeder Versuch, ihn zu realisieren, gegen die Juden gerichtet ist: er nimmt ihrem Staat die Souveränität, die sie im Ernstfall allein schützt”. (S. 14-15)

Überwindung des Naturzustandes durch staatliche Souveränitä setzt Aufrechterhaltung des Naturzustandes in den internationalen Beziehungen voraus

Gegenüber dem Postulat eines “Primats des Völkerrechtes”, wie es die rechtstheoretischen Darlegungen Hans Kelsens auf die Spitze treiben und worauf Jürgen Habermas in modifizierter Form rekurriert, hält Scheit an Kategorien und Erkenntnissen des frühneuzeitlichen Staatstheoretikers Thomas Hobbes vor allem dort fest, wo dieser – in Kontrast zum Befund der Aufhebung des Naturzustandes im Innern eines Staates – das Fortbestehen eines solchen Naturzustandes im Verhältnis zwischen den Staaten als Notwendigkeit beschreibt: Die Staaten ständen einander “wie Gladiatoren gegenüber” allerdings sei auf dem Platz des Imperators, der beim Gladiatorenkampf den Daumen nach oben oder unten richten mochte, niemand zu sehen; dieser Platz werde vom deus absconditus besetzt gehalten. (S. 9) Im Falle der Konstituierung eines “Über-Souveräns” der aus einem zwischenstaatlichen Vertragsschluß hervorginge, müßten die Bürger wieder in den Naturzustand zurückfallen, denn dessen Aufhebung innerhalb des Territoriums eines (einzel-)staatlichen Souveräns habe ihre Voraussetzung in der Fähigkeit der Souveräne, nach außen politische Gewalt zu demonstrieren. (S. 108-109)

Der “gespaltene Westen” – Habermasianer vs. “Neokonservative”?

Ein besonderes Verdienst des Autors besteht darin, das staatsphilosophische Selbstverständnis jener Verfechter supranationaler Herrschaftsausübung auf EU-Ebene kritisch zu reflektieren, welche sich als Kritiker eines “überkommenen” nationalstaatlichen Verständnisses von Souveränität gern als Repräsentanten der am meisten liberal-demokratischen Traditionen “des Westens” resp. des neuzeitlichen Europa darstellen. Mit anderen Worten: Scheit räumt auf mit der “kognitiven Karte” einer Scheidelinie zwischen einem “alten Europa” das – repräsentiert nicht zuletzt durch Habermas – an einer auf Immanuel Kant zurückgehenden weltrepublikanischen Konzeption festhält und somit das liberal-demokratische Antlitz des Westens auch in den internationalen Beziehungen zur Geltung bringe, einerseits und einem amerikanischen “Neokonservatismus” andererseits, dessen “dezisionistisches” Politikverständnis gleichsam eine Verlängerung der Linie Thomas Hobbes – Carl Schmitt – Leo Strauss darstelle.

In diesem Zusammenhang gelingt es Scheit, aufzuzeigen, inwieweit der antiliberale Staatsrechtstheoretiker Carl Schmitt, der Kelsens Anti-Souveränismus einer ätzenden Kritik unterwarf, bereits vor seinem Auftreten als “Kronjurist” Hitler-Deutschlands einem – im Kern .volksgemeinschaftlichen’ -Begriff des Politischen anhing, der mit dem fundamentalen Individualismus der Staatsvertragstheorie Hobbes‘ (Souveränität als politischer Ausdruck der gleichlaufenden Bestrebungen von Individuen, den Zustand des Krieges aller gegen alle zu überwinden) keinesfalls in Einklang stand. Wenn Schmitt dann in der Phase, in der er als Apologet der Nazi-Diktatur auftrat, sich expressis verbis von der Hobbesschen Tradition abgrenzte, so erscheint dies in gewisser Hinsicht als Ausdruck der – verspäteten – Erkenntnis, daß die “Bejahung” des Politischen, wie Schmitt sie propagierte, dem westlichen, auf Machiavelli, Bodin und Hobbes zurückgehenden Souveränitäts-Begriff in gleicher Weise inkompatibel ist wie Kelsens “reine Rechtslehre” oder das Postulat des “herrschaftsfreien Diskurses” (Habermas).

Unter Rekurs auf Franz Neumann, Ernst Fraenkel und Leo Strauss wirkt Scheit der Interpretation des historischen Nationalsozialismus wie der gegenwärtigen “Islamischen Republik Iran” als Manifestationen einer idealtypischen Ausprägung monistischer Herrschaftsausübung entgegen – als ob die pro-absolutistischen Momente der Staatsvertragskonzeption Hobbes’ im Hitlerismus resp. dem Khomeinismus auf die Spitze getrieben worden wären. Scheit stellt demgegenüber auf den ‘polykratischen‘, mithin anti-souveränistischen Charakter des “Unstaates” (Neu mann) nazistischer wie islamistischer Varianz ab. Im “Anhang”, der eine Veröffentlichung Scheits in der Zeitschrift Bahamas enthält, geht der Autor der Frage nach, wie Neumann, Fraenkel und Strauss in Auseinandersetzung mit Schmitt und in Rezeption Hobbes‘ zu Verteidigern des Vernunftgehaltes wurden, der in der ‘liberalistischen‘, vom Individuum ausgehenden Begründung von Herrschaft liegt. Scheit läßt hierbei keinen Zweifel daran, daß Leo Strauss durchaus begründeterweise seitens amerikanischer “Neokonservativer” reklamiert – und ebenso begründeterweise seitens der dem Wahn vom Weltsouverän verfallenen “Alteuropäer” geschmäht wird.

Aus: Eurojournal pro management 2/2010

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