Franz Rottensteiner – Andrea zur Nieden, GeBorgte Identität * Rezension

Franz Rottensteiner

Andrea zur Nieden, Geborgte Identität

Dieses schmale Büchlein ist eine eingehende ideologiekritische Analyse der weltweit erfolgreichsten Science-Fiction-Serie Star Trek oder Raumschiff Enterprise, die sich inzwischen zu fünf Reihen verzweigt hat (Raumschiff Enterprise, Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert, Deep Space Nine, Voyager und Enterprise) und auch zehn Kinofilme hervorgebracht hat, und versucht, eigenes Erleben der Serie zu verarbeiten und die dabei empfundenen “Faszination und Ekel” “gedanklich zu sortieren”: “Die unendlichen Weiten des Weltraums versprechen Freiheit und Abenteuer, während auf der Erde längst die postmoderne Langeweile ausgebrochen ist.”(S. 7)

Die Autorin liefert einen kurzen Abriß der Geschichte des SF-Films allgemein und des Star-Trek-Phänomens im besonderen, geht kurz auf oberflächliche scheinbar utopische Aspekte ein, wie die Galaktisierung des Kapitals und die Fortschreibung der gegenwärtigen Demokratie auf die Galaxis. Aber trotz der vorgeblichen Abschaffung des Geldes und des Marktes bestehen Arbeitsfetischismus, Leistungszwang, Selbstdisziplinierung und Konkurrenzdenken um Posten in der Hierarchie (auf den Sternenschiffen eine strikt militärische Ordnung) unvermindert fort.

Ausführlich beschäftigt sich die Autorin dann mit den in neueren Folgen gehäuft auftretenden Cyborgs, Androiden, Hologrammwesen und außerirdischen Mensch-Maschine-Kombinationen wie die zu einem Kollektivwesen vernetzten Borg. Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwinden, der Mensch wird durch Biotechniken total verändert. Eine überraschend neue Bedeutung erlangt die Figur der Barbie:

“In der unbegrenzt reproduzierbaren Puppe zeigt sich das vorläufige Endstadium einer langen Geschichte der Körpermodellierung, die alles Körperliche sukzessive zugunsten des Geistes abschafft: nach der Normierung der Körper durch die Militärdisziplin und der Produktivierung der Kräfte im Industriezeitalter verwirklicht sich in Barbie die reine, zeitlose Information – der reine Text des Genotyps, wie dieser heute anhand der DNA entschlüsselt wird – im Phänotyp. Barbie hat eine abwaschbare Oberfläche ohne Öffnungen, die das Idealbild einer neuen Körperlichkeit ist.” (S. 67)

Sie verheißt ewige Jugend, die totale Überwindung des Ballastes des natürlichen Körpers. Die Bezüge zur Natur sind widersprüchlich: einerseits Bestätigung der überlieferten Geist-Körper-Hierarchie, wenn der “Geist” als Eigentliches des Menschen verstanden wird, andererseits aber werden genetische Manipulation und Klonung unter Berufung auf die Gene als Garanten menschlicher Einzigartigkeit zurückgewiesen, also gerade das “Natürliche” gegenüber seiner Möglichkeit seiner Überwindung durch neue Techniken betont. Wie diese Widersprüchlichkeit in zahlreichen Episoden im Konflikt mit den Borg und einem Überwesen Q dramatisiert wird, analysiert die Autorin eingehend anhand der betreffenden Episoden.

Eine Filmographie und ein Literaturverzeichnis beschließen den Band, ein Sach- und Personenregister des Star-Trek-Universums erleichtern dem Leser das Auffinden gesuchter Stellen in dem lesenswerten, dicht geschriebenen Büchlein.

Aus: Quarber Merkur 97/98 (2003)

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