Klaus Heinrich

arbeiten mit ödipus

Begriff der Verdrängung in der Religionswissenschaft

Februar 2021, 304 Seiten, ISBN: 978-3-86259-154-1
Dahlemer Vorlesungen 3 | Hrsg. von Wolfgang Albrecht, Hans-Albrecht Kücken, Irene Tobben | Hardcover

34,00 

978-3-86259-154-1 Kategorien: ,

Beschreibung

Arbeiten mit Ödipus heißt mit Verdrängung zu arbeiten. Aber arbeiten mit Ödipus heißt auch Verdrängung in seine Arbeit einbeziehen. In unseren Begriffen selbst ist Verdrängung angelegt. Wie können wir da einen nicht verdrängenden Begriff von Verdrängung haben, wie eine mit Verdrängung operierende Wissenschaft?

Als ich die Verdrängungsvorlesung hielt, die sich jetzt, nach 20 Jahren, in Buchform materialisieren soll, gab es, in Berlin und an der Freien Universität, einen besonderen Grund den Heros Ödipus für die Rolle der Aufarbeitung in Anspruch zu nehmen. Nicht, daß er ein Opfer der Aufklärung geworden war, die er betrieb ein ohnehin erst Sophokleischer Impuls,  freilich einer, der uns über unzureichende Aufklärung und ohnmächtige Philosophie belehrt ; das würde heute eher zu einem vor Wiederholungstäterschaft warnenden Beispiel taugen. Sondern daß uns seine Geschichte, zentral schon für die antike Reflexion über Schicksal und Reflexion, zentral bei Bacon, zentral bei Hegel, zentral noch in einer gegen Ödipusschicksale immuniserenden strukturalistischen Philosophie, bis an die Bruchstelle von Opferkult und Aufklärung führt, an deren Erforschung die Psychoanalyse Sigmund Freuds all ihre aufklärerische Energie gesetzt hat.

Ältere Opferprozeduren werden sichtbar, als die jeweils aktuell praktizierten, und sie betreffen das Triebwesen Mensch in seinem noch nicht entschiedenen Gattungsschicksal. Geschlechterspannung als treibender Impuls in einem die Gattung stabilisierenden Opferprozeß, der eine Balancierung hintertreibt, die allein diese Spannung auszuhalten und sie in eine Quelle nicht-zerstörerischer Lust umzuwandeln vermag – das ist eine von vielen möglichen Formulierungen dieser Sache. Ich könnte sie auch anders formulieren: die Naturrechtsansprüche (exemplarisch also das Widerstandsrecht des gesellschaftlich verfaßten Naturwesens Mensch) standen, so wie in jeder symptomatologischen Verhandlung eines Stoffes, auf dem Spiel und tief in Stoffe mich einzulassen, gehörte für mich zu dem Gegenkurs, gegen die ›rechts‹ ebenso wie ›links‹ kurrenten transzendentalistischen Formen von Selbstbehauptung, den ich mit dieser Vorlesung (oder richtiger, der ganzen Reihe in der sie stand) einzuschlagen versuchte.

Inhalt

  • Anamnetisches Vorwort
  • Erste Vorlesung, Zweite Vorlesung, Dritte Vorlesung, Vierte Vorlesung, Fünfte Vorlesung,  Sechste Vorlesung, Siebte Vorlesung, Achte Vorlesung, Neunte Vorlesung
  • Anmerkungen
  • Stichwortartige Übersicht
  • Editorische Notiz

 

Pressestimmen

»Man muss diese Zusammenhänge gegenwärtig haben, um den originellen, allerdings durch keinerlei Zugeständnisse an die propädeutischen Belange geebneten Zugang zu gewinnen, den Klaus Heinrich im Herbst 1972 für seine an der Freien Universität gehaltenen religionsphilosophischen Vorlesungen wählte. Der frei gesprochene Vortragstext, der jetzt, reich versehen mit Kommentaren und Erläuterungen, auf der Basis der Mitschriften erschienen ist, führt die Religionsphilosophie als ein kritisches Unternehmen ein, ja, man wird sagen dürfen, er führt sie unmittelbar praktisch vor. Heinrich erfasst das Ganze der philosophischen Gegenstandswelt aus der Warte einer Archäologie des philosophischen Selbstbewusstseins. Seine Ausgangsthese besagt, dass die Philosophie einst als Konkurrentin der alten Religionen angetreten sei, um dem ›Fürchtet euch nicht‹, von dem noch der Weihnachtsengel kündet, das Angebot einer privaten Heilslehre entgegenzustellen. Indem sie sich derart den Bedürfnissen des Einzelnen anbequemte, habe die Philosophie die kollektiven Erfahrungen des Mythos beiseite geschoben, um sie schließlich, wie Heinrich freudianisch formuliert, vollends zu ›verdrängen‹.« / Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Die Ödipusfigur und ihre Wirkungen sind das Material anhand dessen Heinrich die Begriffe Verdrängung und Erinnerung in der Religionswissenschaft behandelt. Am Beispiel der Ödipusfigur alseiner anthropologischen Gestalt, die unter einem Wiederholungszwang steht, zeigt Heinrich, wie der Stoff der Mythen und Religionen dazu verhelfen kann, einen nichtverdrängenden Begriff des Begreifens zu erlangen. Die Wirkungsgeschichte der Odipus-Gestalt neigt dazu, die Verdrängung selbst zu verdrängen und die im Stoff enthaltenen Konfliktpotentiale zu kaschieren oder jedenfalls zu reduzieren.« / literaturkritik.de

»Exemplarisch hat Klaus Heinrich im dritten Vorlesungsband mit der Ödipus-Gestalt eine Figur vorgestellt, die unter einem Wiederholungszwang stand: Ödipus, der das Rätsel der Sphinx, das Rätsel einer Inzestgeburt, löste und in eine anthropologische Gestalt umformte, wurde selbst Agent eines inzestuösen Schicksals. In der Folge dann erkannten die Mythologen unter den Religionshistorikern wie Mircea Eliade im Ödipus-Mythos das Mysterium ewiger Wiedergeburten,während Philosophen wie Hegel im Ödipus-Heros den ›hohen Wissenden‹ imaginierten und die Psychoanalytiker mit dem Ödipus-Komplex die Vorstellung des frühkindlichen Vatermordes verbanden. Heinrich kann allen dreien den Spiegel vorhalten: Die Mythologen zeigen Verdrängungsprozesse, deren patriarchalrituellen Kern sie spannungslos übernehmen.« / Manfred Bauschulte, Merkur

»Von Interesse für die Weiterentwicklung einer praktischen Erkenntnistheorie ist nach wie vor die Verbindung aufklärender Mytheninterpretation (zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit der Tradition der Bewußtseinsphilosophie, der Lévi-Straussschen Behandlung des Ödipus-Stoffes und der Habermasschen Psychoanalyserezeption) mit einer Kritik an Tendenzen der Remythisierung und Rekultifizierung – Tendenzen, von denen die gegenwärtige psychoanalytische Literatur nicht frei ist, die sich gern umstandslos der Mythologieelemente bedient, indem sie sie verklärend, aber nicht aufklärend, in Fallgeschichten einmontiert.« / Gela Becker, psychosozial

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