Bhagwans Liebesrevolution
Bhagwans Liebesrevolution
Joachim Bruhn
Das Wasser steht bis zum Hals. Aber gerade darum mag keiner wissen, wie ihm geschieht und was ihm blüht. Geblendete Selbsterhaltung wählt als Fluchtweg genau die Richtung, aus der die Gefahr droht. Panisch geworden, weiß die Vernichtungsangst nicht, wo ihr der Kopf steht, und legt ihn freiwillig noch unter die Guillotine. Die allerorts plakatierten Selbsterlösungstechniken münden, ob antiquiert-okkult oder ganzheitlich-therapeutisch, in der Selbstabschaffung der Überflüssigen. Das erkaltende Leben fahndet nach Intimität als seiner Remedur, aber die als Überlebenselixier injizierte synthetische Sinnlichkeit ist erst in der Kühlabteilung der Krematorien restlos zu befriedigen. Das alternative oder gänzlich bürgerliche Leben fürchtet sein jähes Ende und ist sich doch unschlüssig, ob es, schon immer “im Spannungsfeld zwischen aktiver Sterbehilfe und finalem Rettungsschuß” [ 1 ] pendelnd, dies Ende nur abwarten und ersehnen oder gar selbst sich setzen soll. Das Massaker von Jonestown gibt die Antwort auf die “Sinnkrise” der Gegenwart. [ 2 ] Flucht mündet in Selbsterlösung von eigener Hand. Auch dem Versuch in Oregon, therapeutische Kommunen als “alternative Gesellschaft, als kleine Oase in der Wüste der Welt” [ 3 ] zu begründen, ist sein Ergebnis schon abzumerken: Auf die Frage eines Stern-Reporters, ob sie bereit sei, ihrem Leben auf Weisung Bhagwan Shree Rajneeshs ein Ende zu machen, antwortete die Tochter des in Jonestown ermordeten US-Senators Leo Ryan: “Ich habe Leute sagen hören, daß sie sich umbringen würden, wenn Bhagwan sie dazu aufforderte. Ob mein Vertrauen in ihn so groß ist, weiß ich nicht, aber ich wünsche es mir.” [ 4 ] Absolute Erfahrungsunfähigkeit als Voraussetzung des Wiederholungszwanges ist zum Signum eines Lebens geworden, das nur eines noch erfahren möchte: immer wieder sich selber.
Wie der Kampf um nichts als das nackte Überleben die Menschen auf das serielle Exemplar ihrer Gattung reduziert, zu dem sie doch erst gemacht werden sollen, so entfalten die notwendigen Accessoires endloser Selbsterfahrung wie Gesundheitswahn, Identitätssucht und Intimitätshysterie ihren wahren Glanz erst unter Bedingungen völliger Sterilität, im Tod. “Holocaust” ist angesagt. Die ebenso populäre wie unsinnige Besessenheit von der Idee, an den Deutschen werde, durch anonyme Schicksalsmächte natürlich und mittels heimtückischer, weil unsichtbarer Kräfte wie Atom, Dioxin und Schwefel, der fabrikmäßige Teutozid vollstreckt, läßt durchblicken, daß die anbefohlene Selbsterlösung von ihren Opfern als das gerechte Urteil ihrer sozialen Nichtigkeit begrüßt wird. Gelungene Dressur bewirkt, daß sie ihr “Schicksal” als ihren ureigenen Willen annehmen und geistig noch überbieten. Die therapeutische Potenzierung des Ich zum “Ich selbst” verspricht den Menschen Transzendenz und Überschreiten der Gesellschaft, in einer Form jedoch, die sie deren negativster Tendenz immer einen Schritt voraus sein läßt.
“Tokio, New York, San Franzisko, Los Angeles, Bombay etc. – all diese Großstädte werden verschwinden, und der Holocaust wird global sein”, prophezeit der approbierte Apokalyptiker Bhagwan Shree Rajneesh (im folgenden BSR) und weist den Fluchtweg: “Ihr könnt nur nach innen ausweichen.” [ 5 ] Der Politik der verbrannten Erde soll der eigentliche, der innere Mensch entgegengesetzt werden, um die rettende Kettenreaktion in Gang zu bringen: “Wenn sich das Herz des Menschen ändert, muß die Gesellschaft sich zwangsläufig ändern.” [ 6 ] Die Massenvernichtung, die nur das äußere Schicksal betrifft, provoziert doch die Chance zur Wende. Denn das drohende Attentat des blinden Gesellschaftsgetriebes auf das letzte, das seinen Funktionsteilen als ihr scheinbares Privateigentum noch zusteht, auf ihre Seele also als der Inkarnation des Lebens schlechthin, verspricht im Gegenzug die einmalige Chance zur Generalinspektion und -überholung des Selbst. Die Psyche wird den Individuen zum Eigentum, mit dem um das Schicksal der Welt gepokert werden kann. Innerlichkeit avanciert als revolutionärer Faktor, und das Angebot an Seele kann der Nachfrage kaum mehr standhalten. “Entweder der totale Krieg oder die totale Liebe” [ 7 ] : Vor die Alternative gestellt, das Selbst auf mindest einen Gerechten hin peinlich zu befragen und das letzte Quentchen seelischer Energie der gerechten Verwertung im Dienste der Gemeinschaft zuzuführen, entscheiden sich Bhagwans Jünger für das Survival-Training im Kunsthandwerk des Liebens.
Für diese Organisationsleistung genießt Bhagwans therapeutischer Polizeistaat die ungeteilte Aufmerksamkeit der herrschenden Meinung. Nicht ganz zu Unrecht, herrscht doch in den Magazinen immer dann die Saure-Gurken-Zcit, wenn nicht Hitlers diesmal authentische Tagebücher den Wiedergewinn nationaler Identität verheißen. Aber jenseits des Zynismus der Sensation laßt sich die stets aktuelle Frage, wie die beunruhigende Tatsache, daß der Staat in den Herzen der Bürger auf Sand gebaut hat, zu begegnen sei, auch an den Insassen der Ashrams diskutieren.
Denn hier herrscht jenes Maß an Hingabe und Opferbereitschaft, an Gefolgschaftstreue und fragloser Unterordnung, dessen Fehlen noch jede Regierungserklärung seit Langemarck beklagte. Unterm Stichwort “Jugendsekten” oder “Sinnkrise” wird abgehandelt, was die bürgerliche Öffentlichkeit nicht begreift, wenn sie sich den Spiegel vorhält: die Tatsache, daß ihr der Wahnsinn, als Sachzwang oder sonstwie kostümiert, in allen Poren sitzt. [ 8 ] Der Bürger ist sich selbst ein Geheimnis, und die Bewegungsgesetze seiner Ökonomie sind ihm ein größeres Mysterium als den Katholiken das Wunder der Blutverflüssigung. Er furchtet die Planwirtschaft wie der Teufel das Weihwasser – aber die astrologische Konjunkturberatung ist längst zuverlässiger als das Jahresgutachten des Sachverständigenrates und daher auch beim Finanzamt als normale Betriebsausgabe steuerlich absetzbar. Der Bürger, dem nichts fremd ist, weil er außer seinem Interesse nichts kennen mag, erkennt sich doch paradox, wenn er andere des Okkultismus bezichtigt. Im Okkultismus kommt sich der Bürger selber als Geisterfahrer entgegen.
Der Inflationsheilige begleitet den wagemutigen Unternehmer seit je als illegitimer Zwilling. Je riskanter die Investitionen, desto glühender der Aberglaube. Apostel, die an der Seele jedes einzelnen den archimedischen Hebel ansetzen wollen, tauchen heerscharenweise auf und begleiten als getreue, weil zuverlässig geistlose Seismometer die Konvulsionen der bürgerlichen Gesellschaft. Als Avantgarde der Katastrophe besitzen sie den siebenten Sinn für das gesellschaftliche Epizentrum: Wie in den 2oer Jahren im Umkreis völkischer oder nationalbolschewistischer Bewegungen, so betätigen sie sich heute vorzugsweise als Souffleusen des öko-pazifistischen Obskurantismus. [ 9 ] So unüberschaubar vielfältig die Geschmäcker der Heilande, so einfältig die Rezeptur: Dem Bedürfnis, zuzüglich zum komfortablen Leben einen Lebenssinn sein eigen zu nennen, ist jeder Gegenstand der rechte, wirft er nur einen ansehnlichen psychischen Mehrwert ab. Gehobenes Kleinbürgertum, abonniert auf das demokratisch im 36. Jahrgang erscheinende Fachblatt “esotera”, bescheidet sich noch mit Tische-Rücken und Stimmen aus dem Jenseits, bequemt sich allenfalls zur Entspannung auf ein Exerzitium des Frankfurter “Alt-Atlantischen Hexenkreises” oder wagt einmal ein Seminar “Gesundbeten” (evtl. auch “Geistheilen”) im Institut für Parapsychologie Düsseldorf”. [ 10 ] Unter Alternativen muß schon “ganzheitlich” ergehen. Hier genügt der Feierabend nicht, und unter der Maxime, das Private sei öffentlich von Belang, wird das gesamte Leben dem spirituellen Diktat unterworfen. “Liebe. Das Magazin für Sein & Bewußtsein” berichtet über alles, was dem Bedürfnis frommt. Das Kollegium der Herausgeber bürgt für Qualität: Raphael Keppel, der ehemalige Flugzeug-”Entführer in die Menschlichkeit” und Grünen-Nachrücker im Hessischen Landtag; Dieter Duhm, dessen Buch “Angst im Kapitalismus” zur Bibel der Kulturrevolutionäre wurde; Rainer Langhans, Mitbegründer der Kommune Eins, und Wolfgang Neuss, der hier Ernst macht, zählen darunter. [ 11 ] Ob Fußreflexzonenmassage oder Rebirthing, ob das “Geheimnis der Pyramidenenergie” oder gesunde Entschlackung von Darm und Kopf, ob Carlos Castaneda oder die neuesten Halluzinationen des Pantschen-l.ama, ob Bhagwan im Original oder in der Bhagwan-Bahro-Version – der alternative Konsument genießt die Freiheit einer Auswahl, die nur die höhere Form der Diktatur des Sortiments darstellt.
Im Unterschied zum Okkultismus der 2oer Jahre, als es der Magier Erik Hanussen zum “Sachverständigen für Hellseherei” am niederländischen Königshof brachte und zum engen Vertrauten Hermann Görings, orientiert sich der moderne weniger an den Sternen als an den Gefühlen. Der therapeutische Okkultismus setzt auf den Heiligenschein des Wörtchens “Ich” und verspricht, einem Zustand, in dem der Gebrauch dieses Wortes zur Unverschämtheit geworden ist (Th. W. Adorno), ein Ende zu setzen. Aber die Konkurrenz unter den Schamanen, Wunderheilern, indischen Yogis und den Therapeuten aller Konfessionen um das Patent an diesem Sterbenswörtchen ist enorm. Bhagwans Originalität besteht nur darin, daß er sich nicht auf eine besondere Marotte verlegt hat, sondern deren Integral ist. Er hat erkannt, daß beschädigte Subjektivität einzig in der zum Alltag und zur Lebensform totalisierten Therapie noch zum Fortvegetieren verhalten werden kann. Er hat erkannt, daß der rettende Rohstoff “Liebe” nicht im Überfluß vorhanden ist und auch geschicktes Recycling auf die Dauer nicht verhindern kann, daß die Nachfrage die objektiven Grenzen des Wachstums der Angebotsseite sprengt. Die Notwendigkeit der totalen Liebesrevolution gebietet es, die Sinnlichkeit aus den Menschen herauszudestillieren, künstlich anzureichern und mit dem gewonnenen Elixier den letzten Rest Ratio abzuspritzen. Sexualität ist hier nur die physische Hülle des geistigen Kerns dieser Liebe: “Eine Frau ist eine Frau, so wie ei8n Mann ein Mann ist. Die Unterschiede sind zweitrangig, weil es eine Frage der Energien ist … Die äußere Frau ist nur ein Weg zur inneren Frau. Und der äußere Mann ist ebenfalls nur ein Weg zum inneren Mann. Der wirkliche Orgasmus geschieht im Innern, wenn dein innerer Mann und deine innere Frau sich berühren.” Die schleimigen Begleitumstände der sexuellen Vereinigung sind nur der Umweg zur reinen geistigen Kernfusion, zur “ultima unio mystica”, die den äußeren Gegensatz vernichtet
und “in reiner Jungfräulichkeit deine ursprüngliche Natur” restauriert: Liebe. Sie ist die Antimaterie der Politik. Der Kampf gegen den Weltuntergang besteht in der Ausrottung des seelischen Materialismus, der auf den Äußerlichkeiten besteht und sich die Lust am Schleim nicht abmarkten läßt. Erst ein Liebesverhältnis, das den Tauschhandel mit Intimitäten zum Schlußverkauf der Liebenden radikalisiert, genügt den Ansprüchen der Liebesrevolution: “Laß alle Masken fallen. Sei wahr. Offenbare dein ganzes Herz. Zwischen zwei Liebenden darf es keine Geheimnisse
geben, denn sonst ist Liebe nicht. Laßt alle Geheimniskrämerei fallen. Sie ist Politik. Geheimniskrämerei ist Politik.” Dem ganzheitlichen Leben ist die Treibjagd auf die Geheimagenten des Außen im Innen verordnet; Vernunft, Politik, Gesellschaft und Ich werden standrechtlich abgeurteilt und an die Wand gestellt. Ist kurzer Prozeß gemacht, kann der innere Lebensraum gerodet und bestellt werden, dann gilt: “Ich gehöre keiner Gesellschaft an, ich bin für die Liebe.” [ 12 ] Nicht der maschinelle Gleichtakt von Produktion und Konsumtion hält mehr die Gesellschaft als ein Stahlkorsett zusammen – sie löst zwanglos sich auf in die Vollversammlung sechzig Millionen absoluter Monarchen.
Das therapeutische Angebot des Ashram verspricht, an der Verzückung, den Verstand zu liquidieren und doch zu überleben, den Zwangsgeboten der Selbsterhaltung zu folgen und doch glücklich zu sein, könne ein jeder teilhaben. “Du bist schon das, was du werden willst, hier und jetzt, in diesem Augenblick bist du das, was man ‘das Göttliche‘) nennt. Das Letzte und Höchste ist hier, es findet bereits statt”, erklärt Bhagwan und fugt hinzu: “Du kannst augenblicklich zum Kaiser werden.” [ 13 ] Auf ungeahnte Weise wird die Drohung des Grundgesetzes, alle Gewalt ginge vom Volk aus, doch noch wahr und läßt sich schon heute, in der permanenten Therapie als Alltag und Lebensform, vorwegnehmen. Der therapeutische Wahn als, so der Erfinder der Gesprächspsychotherapie, Carl Rogers, “wachsende Gegenkraft zur Enthumanisierung der Gesellschaft” versichert überdies, den allen Wunsch der Zukurzgekommenen wahrzumachen, sie könnten wirklich, mittels allerlei ausgetüftelter Systeme auf, natürlich, wissenschaftlicher Grundlage, das Zufallsgesetz der Lotterie in ihren ganz persönlichen Vorteil verwandeln. Die therapeutische Bewegung arbeitet nach dem Schneeballsystem, wonach jeder zehn andere übers Ohr haut und die wiederum hundert: Und dies immer so weiter, bis am Ende die ganze Menschheit in Saus und Braus leben kann; so leben kann, als hätte sie schon zu Jesu Lebzeiten einen Pfennig auf die Bank gebracht, der heute mit Zins und Zinseszins als Billiarde sich auszahlt: “Je mehr sich diese Bewegung verbreitert, je mehr Individuen sich als einmalige Personen erfahren, um die sich andere einmalige Personen kümmern, desto mehr Wege werden sich auftun, um eine enthumanisierte Welt zu humanisieren.” [ 14 ] Bhagwans Liebeskaserne nutzt alle Erkenntnisse der Gesprächspsychotherapie, deren Innovation (im Vergleich zur klassischen Psychoanalyse) es war, den therapeutischen Prozeß nicht mehr nur als den Hebel zur, sondern als die einzige Existenzform der psychischen Gesundheit zu benutzen. Aus einem Mittel zur Realitätsertüchtigung des Bürgers wurde Therapie zum Psycholabor ohne Ausgang modernisiert und damit zum einzigen Lebensraum, in dem psychisch gesund, d.h. auf therapeutisch: authentisch, noch gelebt werden kann. Dies implizierte zumindest die Trennung von therapeutischem und gesellschaftlichem Leben, kann aber auch, und Bhagwan beweist es praktisch, zur Aufhebung der Gesellschaft in permanente Therapie radikalisiert werden. In der Therapie als Lebensform schlägt, was als Sozialtechnologie nur gedacht war [ 15 ] , in Religion um, ein Umschlag, der in der Gesprächspsychotherapie, die hier als Pars pro toto stehen soll [ 16 ] , bereits angelegt war. Rogers untersuchte als erster die Interaktion zwischen dem Therapeuten und seinem Opfer wissenschaftlich, d. h. behavioristisch mit Hilfe von Tonbandaufzeichnungen, Testpsychologie und Experiment. Dabei ging die Warnung Freuds, der Therapeut habe der Versuchung zu widerstehen, “gegen den Kranken die Rolle des Propheten, Seelenretters, Heilands zu spielen” [ 17 ] und daher am Ende der Analyse die Übertragung, die Verliebtheit des Klienten in seinen Arzt, abzubauen, verloren – eine Warnung, die Rogers nur deshalb nicht mißachten konnte, weil er sie wahrscheinlich gar nicht kannte. Im psychologischen Behaviorismus ging so der kleine Unterschied von Effizienz und Freiheit unter.
Bei diesen Untersuchungen ergab sich das Pa tent zur künstlichen Herstellung von Sinnlichkeit und Sinn. Man entdeckte, daß die Pawlowsche Methode außer am Hund auch am Menschen funktionierte, woran es aber unter Positivisten, die sich prinzipiell im “Jenseits von Freiheit und Würde” [ 18 ] wähnen, keinen Anstoß zu nehmen gab. Man entdeckte zudem, daß Einfühlungsvermögen, menschliche Wärme und authentischer Selbstausdruck im Psycholabor als beliebig
veränderbare “Variablen” programmierbar waren und daß das zum Reflexwesen degradierte Individuum (in dessen “black box” hineinzuschauen, nicht gelingen wollte) auf derlei Reize zufriedenstellend ansprach. Daraus leitete die Rogers-Schule “den Wandel der Therapeutenpersönlichkeit von einem nicht lenkenden, aber engagierten, akzeptierenden, neutralen Zuhörer zu einem aktiven, den echten zwischenmenschlichen Kontakt und die zwischenmenschliche Kommunikation suchenden Partner” [ 19 ] her. Der Therapeut hatte nur die “Variablen” zu beherrschen wie eine Telefonwählscheibe und dann zur situativen Stimulation des Klienten zu benutzen. Das Kalkül vergaß nicht, daß der Mensch vom Menschen verändert werden kann und daher der Therapeut zuallererst therapiert werden muß. Denn die Therapie wird unmittelbar abhängig von der persönlichen Qualität des Therapeuten selbst; sie versubjektiviert sich zur Willkür. Der Therapeut hat nicht zu analysieren, sondern sich in die Seele des Opfers subtil einzufühlen und einzuschleichen.. Die Behandlung wird so zum Verhältnis “einmaliger Personen” und entbindet eine künstliche Aura, stellt sie dar als eine aus dem Innersten des Therapeuten wabernde Kraft, die die gewünschte Atmosphäre schafft: die Zwischenmenschlichkeit alias authentische Kommunikation alias Sinnlichkeit. In ihrem übersinnlichen Glanz erscheint noch jede Banalität, kommt sie nur von Herzen, als Sendbote des geheimnisvollen “Eigentlichen” im Menschen. Es ist dies eine Beleuchtung, in der noch der angegammelte Käse aus dem Hause Aldi nach dem Leib des Herrn Jesu Christ schmeckt. Therapie produziert diesen Schein als das Unbegreifliche, das einzig im Jenseits der Vernunft stattfindet und das Glück organischer Ganzheit offenbart. Das Wunder der Kommunion mit der göttlichen Substanz wird Wirklichkeit. Zwischen den erlösten einzelnen geschieht das okkulte Etwas, haben sie nur den Mut, “offen” zu sein und alles einfach “zuzulassen”. Diese therapeutisch produzierte und sodann injizierte Aura bildet das materielle Fundament des modernen Spiritualismus.
Vor der Kritik der sozialen Funktion des therapeutischen Okkultismus blamiert sich die veröffentlichte Meinung regelmäßig, Bhagwan sei ein abgefeimter Glücksritter der “Sinnkrise”, der sich seinen Roll-Royce-Fuhrpark gar nicht anständig, d.h. wie jedermann und F.K. Flick, von der Pike auf verdient habe, denn sie ginge ihr ans eigne Mark. Bhagwan predigt doch nur, die fernöstlichen Spezialitäten einmal abgezogen (im Westen stößt die Philosophie des Nirwanas immer dann auf Begeisterung, wenn eine Kastenordnung für das Abendland angebracht wäre), was jedes ordentliche Handbuch für Sozialarbeit oder psychiatrischen Führungsstil im Personalmanagement nüchtern doziert. Das Paradox des “Psychobooms” liegt darin, daß sich die Mauserung der Gesellschaft zur Fabrik nun im schon freiwilligen Konsum dort erprobter Motivationstechniken als Lustverstärker für Appartementbesitzer zu vollenden scheint. [ 20 ] . Bereits an den Kapitelüberschriften eines Buches von Reinhard und Annemarie Tausch etwa, den Päpsten der Sozialarbeit, ist ablesbar, wie schwer der Unterschied zu treffen wäre: “Echter werden”, “Offener werden für gefühlsmäßiges Erleben”, “Sich selbst besser verstehen”, “Verantwortlich für uns und unsere Körper sorgen”, “Sich einfühlen in die seelische Erlebniswelt des anderen, ohne sie zu bewerten”. Das letzte Kapitel ist überschrieben “Wege zu uns im politischen Zusammenleben” [ 21 ] , und hier zeigt sich, was sich die Einheitsfront liberaler und okkulter Therapeuten unter ihrer Idealgesellschaft vorstellt: Gesellschaft als permanente Encountergruppe und “quasi-gesprächspsychotherapeutische Situation” (Rogers), Entpolitisierung der Politik und ihre Reform zur lässigen “Diktatur der Freundlichkeit” [ 22 ] , die den Menschen als gutgemeinten Ratschlag angedeihen läßt, was nicht mehr befohlen werden muß.
Das “Eigentliche” der Zwischenmenschen ist das Unaussprechbare. Der inszenierte “kreative Prozeß der wechselseitigen Selbsterfahrung” [ 23 ] ist derart fragiler Natur, daß es Seelenmord wäre, ihn zur Sprache zu bringen. Die Sprache ist der Todfeind halluzinierter Sinnlichkeit. Aber die Sabotage der Sprache, ihre Denunziation als Seuche des Kopfes mündet, da auch seelische Einfühlung des Kommandos bedarf, in ihrer therapeutischen Mutation. Sie wird zur weißen Magie, verschleimt regelrecht und wird zum Schnuller. Ma Prem Suse und Swami Deva Sidhamo laden zum “Enlightment Intensive”, zwei Tage à DM 180,- netto. Im Prospekt raunt es: “Im Enlightment Intensive wird die Kernfrage ‚Wer bin ich?‘ abwechselnd gestellt und beantwortet. Enlightment Intensive kann dich an einen Punkt führen, an dem es keine Antwort mehr gibt, sondern eine direkte Erfahrung deines Wesens möglich wird.” [ 24 ] Das süßliche Gesumse vom Wesen beantwortet die Frage, ohne sie erst stellen zu müssen: Was immer hier en detail geschehen mag, zu tief im Seelchen spielt es sich ab, als das das vernünftelnde und zänkische Hirn es noch fassen könnte. Wo so dick ein Geheimnis nebelt, da verbirgt sich als das eigentlich Unaussprechbare des Jargons der Eigentlichkeit wie stets die unsäglichste Gewalt. [ 25 ] Wenn als Ausweg ans dem zum bodenlosen Abgrund gewordenen Alltagsleben einzig, wie unter der Spalte “Körper & Geist” der alternativen ‘tageszeitung‘ annonciert, die “totale Annahme und rückhaltlose Bejahung des Lebens” noch offensteht, dann zeigt sich, daß die bürgerliche Gesellschaft in die Sackgasse geraten ist und nur die Totalmobilmachung aller Energien ihr noch Zukunft schaffen kann. Nicht Diskurs und Vernunft, sondern sprachlose, autoritär verordnete Einfühlung ins “Prinzip Leben” steht auf der Tagesordnung. “Das Leben ist kein Rätsel, das man lösen, sondern ein Geheimnis, das man leben muß” [ 26 ] , weiß Bhagwan und fordert die restlose Anschmiegung ans Eigentliche. Die Mystifizierung banaler Biologie zielt auf Sozialbiologie. Die Vergötzung des mythischen Geheimnisses wird in der Praxis des Sozialdarwinismus, in der auf dem Verwaltungswege durchgeführten Selektion des schwachen und “unwerten” Lebens münden.
Der besondere Anklang, den Bhagwan zwischen Bitburg und Bergen-Belsen findet – schon in Poona waren dreiviertel der Sannyasin aus Deutschland zur Identitätsroßkur gewallfahrt –, verweist auf die ungebrochene Kontinuität der deutschen Methode, Revolution zu machen. Die ältere Generation der Jünger ist sich dieser Tradition noch bewußt. So berichtet J. A. Elten über seine Zeit in Poona: “Mir ist klar, daß ich viel zu sehr am Komfort hänge. Acht Jahre lang habe ich auf der NaPolA in harter Disziplin alle möglichen Unannehmlichkeiten ertragen. Nun muß ich mich wieder daran gewöhnen.” [ 27 ] Die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten, die Kaderschulen des Faschismus, liefern das Ideal des guten Lebens: Äußere Askese bei innerem Reichtum. Den Jüngeren wird es schon wieder geläufig. Der ehemaligen Redakteurin der Frauenzeitschrift ‘Courage‘, Karin Petersen alias Ma Prem Pantho (“Der Weg der Liebe”), wurde Indien zum “Prüfstein für die Dringlichkeit eines Hungers, der übe r die materielle Sättigung hinausgewachsen” war. Vergeistigter Hunger, der Hunger nach Sinn, ermächtigt sie, beim Bummel durch die Slums von Bombay “Haß auf die Inder” zu empfinden und die Bettler “wie Ungeziefer beiseite zu scheuchen” [ 28 ] . Nur eine veredelte Seele erwirbt sich das Recht, der eigenen Brutalität den Persilschein selber auszustellen. Am Lohn, den die Sannyasin zum Dank für ihre Leistung verlagen, scheint die Gewalt durch, die sie an sich selber üben mußten, um sich in den Stand freischwebender und gnadenloser Freundlichkeit zu versetzen. Leichen pflastern den “Weg der Liebe”, aber böse ist es ja nicht gemeint, nur ehrlich.
Die deutsche Methode, Revolution zu machen, ist windschief. Sie bezweckt den totalen Neubeginn aus dem Nichts und gegen niemanden sonst als gegen die Produzenten des wirklichen Reichtums. Die Initiatoren der fatalen Dialektik von Lebensreform und Liebesrevolution wollen Revolution ohne Klassenkampf, Stillegung des sozialen Antagonismus ohne seine Aufhebung und Ende des Widerspruchs gegen die Hierarchie durch Verinnerlichung der Subalternität. Bhagwans Popularität verdankt sich der therapeutisch verbesserten und zeitgemäß überarbeiteten Neuauflage völkischer Lebensmystik. Der Geistrevolutionär Ludwig Häusser, ein Freund Rudolf Steiners, der 1924 zum Reichstag kandidierte und 60000 Stimmen auf sieh vereinte, erhob die Seele zum politischen Kampfprogramm: “Als Tummelplatz revolutionärer Anschläge wurde bislang der Staat benutzt; ein Regiment weicht dem anderen und nichts davon, was in Wahrheit faul im Staate ist, wird dadurch besser. Wählen wir einen anderen Angriffspunkt für unsere revolutionären Bestrebungen! … Der Staat besteht aus Einzelnen, aus Dir und mir und vielen anderen. Revolutioniere Dich, auf daß es mit Dir besser werde, so ist einem Teil des Staates geholfen … Das wäre eine Revolution aus dem Innersten, der Keimzelle des Staates heraus.”
Häussers Zentralorgan, die “Häusser-Zeitung”, war absolut überparteilich, proklamierte Gemeinnutz vor Eigennutz und führte zum Beweis Hammer und Sichel wie Hakenkreuz zugleich. Häussers Programm war beeindruckend und glaubwürdig, bestand es doch in der allgemeinen Volkserhebung zur Befreiung der speziellen Person Häusser zum Duodezfürsten seiner selbst: “Lange genug war ich ein Kind, am Vater-Busen hängend, saugend, schlürfend! Gehen – auf eigenen Füßen – selbst gehen. Meine Wege gehen, mir befehlen, mir gehorchen, mein Gott, mein Teufel, mein Befreier, mein Helfer, mein Führer, mein Vater, meine Mutterbrust will ich, will mein Wille sich jetzt selber sein! Ich will der Meister meines Ich, der General meines Selbst sein oder unablässig mich mühen, es aus mir selbst zu zeugen und durch mich selbst es zu gebären, es zu werden!!!” [ 29 ]
Leidenschaftliche Banalität paukt ihren Katechismus. Kleinbürgerliche Geistrevolution träumt von der seelischen Jungfernzeugung und unbefleckten Empfängnis des Kleinbürgers. Niemandem mehr wollen die Selbständigen ihre Existenz schulden oder zugeben müssen, daß sie von oben getreten und von unten gedrückt werden. Der furor teutonicus bricht los, um sich die Welt nach Maßgabe seiner;., Lebenslüge einzurichten und den Beweis des Gegenteils durch seine Ausrottung zu widerlegen. Aber der Elan der Generaloffensive versackt, der Hurrapatriotismus des Größenwahns erschlafft und greift demütig nach dem Staats-Busen: Mein Führer!
Als Sozialphilosophie der Deklassierten steht der Heroische Realismus bereit, das bürgerliche Denken in Regie zu nehmen, wenn die Ökonomie aus dem Ruder läuft. Er übersetzt das Selbsterfahrungsprogramm in die Politik und richtet darauf ab, durch vorbehaltlose Bejahung der Fallgrube, in die gerade man gestoßen wird, die innere Freiheit sich zu gewinnen.
Der Bürger wird aufgerufen, Opfer und Täter seiner Ermordung zu sein und so die Lüge seiner Selbstzeugung in die Wahrheit seiner Selbstabschaltung zu verwandeln. Negative Dialektik ist dem Bürger die einzige, die er zu praktizieren, wenn auch nicht zu begreifen vermag. Nichts bereitet dem Heroischen Realisten daher mehr Vergnügen als die Bespöttelung der bürgerlichen Freiheiten. Hämisch konstatiert Ernst Jünger, daß “die bürgerliche Kleidung beginnt, irgendwie lächerlich zu werden – ebenso wie die Ausübung der bürgerlichen Rechte, insbesondere des Wahlrechts” [ 30 ] . Was der Bürger auf den Müll wirft, sollen andere auch nicht mehr gebrauchen können. Der Heroische Realist beginnt mit der Lebensreform. Er übt resolute Kritik am großbürgerlich-kosmopolitischen Lebensstil, den er sich nicht leisten kann, also auch gar nicht leisten will, und beschließt, mit “der wahren, der seinsmäßigen Revolution” [ 31 ] eine Praxis folgen zu lassen, die die Kritik der bürgerlichen Kleidung und des eleganten Savoirvivre mit Todesverachtung in Feldgrau auf ihren Begriff bringt.
Die Karriere des eigentlichen Lebens nimmt ihre Bahn in die Grube über die bloße Kulturkritik am Kapital. Deren geistrevolutionäres Dogma ist die absolute Trennung des “raffenden” Kapitals als der Sphäre des “Spießers” und “Pfeffersacks”, des “Asphaltliteraten”, “Kulturbolschewisten” und ihres Integrals, des Juden und Fremden einerseits, vom “schaffenden” Kapital andererseits, des lichten Reiches an- und selbständiger Kraft- und Vitalmenschen, denen ihr aufrechter Gang zum Weg ins Desaster wird. [ 32 ] Und auch werden muß: Ihr Anstand hilft ihnen nicht, sie werden gerade dafür bestraft.
Geistrevolution gegen dekadenten Lebensstil begreift sich als Therapie des Übels, das sie selber ist, und führt die Miserezwanglos auf weltweite Verschwörung zurück, deren Langzeitagenten unter und in uns sind. Wie der seelische Volkssturm der 2oer Jahre, begreift der therapeutische Okkultismus der Gegenwart die Gesellschaft als gigantisches Psychodrom, ihre Krise konsequent als simple Hochrechnung der je individuellen Schwäche zur wahren Liebe zu allgemeiner Impotenz. Bhagwans Liebesrevolution empfiehlt sich als probates Aphrodisiakum: “Es ist eine Revolution im wahren Sinne des Wortes. Kein Gedanke daran, die Gesellschaft oder die Welt zu verändern – denn es gibt überhaupt keine Gesellschaft. Es gibt nur Individuen. Gesellschaft ist eine Illusion. In Wahrheit geht es um eine Revolution in Leben des einzelnen. Denn das Individuum ist substantiell und real; die Gesellschaft ist lediglich ein Bezugsgeflecht.” [ 33 ]
An die Stelle der “Weisen von Zion” ist die westliche Rationalität getreten. Nicht erst mit dem Christus-Mord, sondern bei Aristoteles beginnt die Katastrophe, die Descartes und Marx dann vollenden – Bhagwan resümiert: “Der Verstand hat euch in das Chaos, in das Elend gebracht, das ihr seid.” [ 34 ] Daß der Liebe auf Kommando das prompte Versagen folgt, daß die therapeutische Gruppe, die Liebe als das Zwangsgebot der Selbsterhaltung einem jeden ohne Ansehen der Person zuteilt, auch noch die Liebe, deren Grundgesetz doch zumindest freie Wahl ist, liquidiert, gehört zur objektiven Dialektik der Liebesrevolution. Unter den lebenden Leichnamen ist es unvorstellbar, jemand sei tatsächlich nicht liebenswert und wirklich der Widerling, der sich nicht selbst zu erfahren, sondern gefälligst zu ändern hätte. Der Liebeskommunismus verdoppelt die negative Gleichheit aller vor Ökonomie und Staat zur Gleichschaltung des Gefühls.
Im therapeutischen Polizeistaat wird die Trennung von Arbeit und Leben auf eine Weise aufgehoben, die sich die neu-linken Urheber dieser Utopie nicht haben träumen lassen: Das Leben wird mit der Arbeit totalitär identifiziert und geht restlos, “ganzheitlich” in ihr auf. “Betroffenheit”, “Revolutionierung des Alltags”, “Politik in erster Person” – auf ihre Weise zieht Bhagwans Geistrevolution die wirkliche Bilanzsumme der neuen sozialen Bewegungen nach 1968. In der Geistrevolution erfüllt sich die “Dialektik des antiautoritären Bewußtseins” der Studentenbewegung, wie sie Hans-Jürgen Krahl analysiert hat: “Der losgelassene Emanzipationsegoismus will auf die Mühsal und Qual des politischen Kampfes verzichten und gleichwohl das Reich der Freiheit hic et nunc für sich empirisch usurpieren … Die kleinbürgerlichen Dispositionen des antiautoritären Bewußtseins behandeln das Reich der Freiheit als privates Kleineigentum (dem entsprach die Ideologie der Freiräume), orientiert an der Vorstellung vom Besitzrecht der ersten Landnahme… Kleinbürgerliche Bewußtseinseinstellungen ließen die Freiheit zu einer dezisionistischen Eigentumskategorie verkommen.” [ 35 ]
Die Vorwegnahme des Kommunismus in den zwischenmenschlichen Beziehungen hat sich zum Individualanarchismus des “Hier und Jetzt” radikalisiert, der in der Liebesrevolution seine Praxis und in Bhagwan seinen ideellen Gesamttheoretiker findet. Befreiung rentiert sich als Kleingewerbe. Es kommt heraus, was in der Attacke aufs “Leistungsprinzip” schon angelegt war: Gesellschaft gilt als Ausdruck eines geistigen Prinzips, als reine Materialisierung der protestantischen Ethik, als Psychotop. Die Geistrevolution begreift Kapitalismus als puren Glaubensinhalt, den die Menschen aus ihrer Seele in die Wirklichkeit projiziert haben, und betreibt seine Subversion durch therapeutische Gehirnwäsche. “Sage nein zu allem … Suche ein neues Verhältnis zu deiner Freundin, liebe anders … Beginne … für dich selbst, hier und jetzt mit der Revolution” [ 36 ] – der antiautoritäre Appell Daniel Cohn-Bendits kündigte, vom Resultat her betrachtet, die Wiedervereinigung der Avantgarde mit der Nation schon an. Im Ashram kommt die “Politik in erster Person” auf ihren Begriff. Politisierung aus “Betroffenheit” schlägt um in Körperkult und Hygienehysterie: “Mein Verständnis hört dort auf, wo es um meine eigene Haut geht”, droht Karin Petersen. [ 37 ] Dies ist, vor aller Drohung mit imaginierter Notwehr als Ermächtigung endlich eigener Gewalt, erst einmal wörtlich zu nehmen als die Angst, den Körper zu beschmutzen, als Wunsch nach Keimfreiheit. Gestandene Antiautoritäre, die ihrer putzwütigen Mutter das Leben schwermachten, entfalten nun, aus Angst vor unsichtbaren Bazillen, einen Kleenex-Wahn, vor dem es wohl selbst Meister Propper und Frau Saubermann, der idealen Liebesheirat der späten 6ocr Jahre, grausen würde.
Die Wiedervereinigung der Avantgarde mit ihrer Nation vollzieht sich als deren Modernisierung zum ewigen Überleben ihrer Krise. In der öffentlichen Begeisterung über die therapeutische Lebensreform reflektiert sich der gesellschaftliche Funktionswandel der Liebe schlechthin. Die klassische Staatsphilosophie fürchtete die Liebe als rohe Natur, die Sinnlichkeit als die Katastrophe der abstrakt kalkulierenden Ratio. Am Weib infizierte sich der liebende Bürger mit seinem Untergang, holte sich die emotionale Syphilis und Gehirnerweichung und fuhr hinab in das “Reich des Tods” (G.W.F. Hegel) [ 38 ] . Heute sucht der Bürger die heilige Allianz mit seinem Gegenteil, verbündet sich mit dem Tod, um sich ins ewige Leben zu retten. Die Gesellschaft nimmt die Sinnlichkeit in Regie und pflanzt sich durch ihren Widerspruch hindurch fort. Herrschaft, an sich selbst gebrechlich geworden, reformiert sich zur allgemeinen Selbstverwaltung der Subalternen. Das Verhältnis von Liebe und Politik transformiert sich aus machtgeschützter Innerlichkeit zur psychischen Stützung der Macht, und der therapeutische Wahn, von der Seele aus zu revolutionieren, wird in dem Maße zur Wirklichkeit, als Herrschaft, anonym geworden, zur Diktatur der Freundlichkeit, zur Psychokratie sich verschlimmbessert.
Die Menschen halten sich über Wasser, indem sie die Flutventile öffnen. Individualität, leck geschlagen, geht in die Boote. Die orange kostümierte Flucht ins “ozeanische Sein” [ 39 ] wird zur Fahrt ins Nichts.
Anmerkungen
[ 1 ] Wolfgang Pohrt, Jonestown/Guayana. Das moderne Leben im Spannungsfeld zwischen aktiver Sterbehilfe und finalem Rettungsschuß, in: ders., Ausverkauf. Von der Endlösung zu ihrer Alternative, Berlin 1980, S. 7 ff
[ 2 ] Vgl. Enrico Pozzi, Säkularisierung und bitterer Nachgeschmack des Heiligen: Der kollektive Selbstmord von Jonestown, in: Diktatur der Freundlichkeit (siehe Anm. 10), S. 117 ff.
[ 3 ] Rajneeshismus. Bhagwan Shree Rajneesh und seine Religion. Eine Einführung. Hg. von der Rajneesh Foundation International, Oregon, deutsch: Köln 1983, S. 6
[ 4 ] “Die Rote Heilsarmee”, in: Stern Nr. 40/1984 vom 21. 9.1984, S. 82
[ 5 ] Rajneeshismus, a. a. O., S. 6l
[ 6 ] Rajneesh Times. Deutsche Ausgabe vom 2. 11. 1983
[ 7 ] Bhagwan Shree Rajneesh (im folgenden BSR), Der neue Mensch. Die Gegenwart hat schon begonnen. Antworten zum Thema “Globale Krise”, Meinhard-Schwebda, 1983, S. 143
[ 8 ] Die Sannyasins werden als eine Art Gang behandelt, die es auf eine sogenannte “Kommerzialisierung legitimer Bedürfnisse” abgesehen haben soll. Neidete man ihnen früher den Gruppensex, so heute den Religionskonzern mit profitabler Arbeitsandacht – immer beklagt die bürgerliche Öffentlichkeit an BSR, was ihr selber voyeuristischen oder, in Anbetracht der klerikalen Staatssekten, höchsten politischen Genuß bereitet. In der Kritik, BSR habe einen “Clan” gegründet, wird erklärt, man selber hätte gern Stammesbewußtsein und wäre lieber Teil einer Volksgemeinschaft als ein liberaler, freischaffender Journalist. Vgl. ”Der Bhagwan-Clan”, in: Stern N° 5/1985 (24.1.85) – N° 8/1985 (14.2.85); sowie “Die Geschäfte der Bhagwan-Sekte. Bhagwan: Glaube und Mammon” in: Der Spiegel N° 6/1984 v. 6.2.1984.
Friedrich-Wilhelm Haacks informativer Broschüre “Die BSR-Bewegung” (München 1983) habe ich im Detail viel zu verdanken. Ein nützliches Büchlein, weil Haack Gott sei Dank niemanden interviewt hat, sondern Ausgewähltes aus BSRs Schriften ideologiekritisch interpretiert – allerdings vom Standpunkt eines evangelischen Loyola. Das mindert den Genuß doch erheblich, denn gemessen an Theologie hat BSR natürlich mehr als nur einfach recht: BSR lügt nicht mit der Wahrheit, daß Religion ein schöner Schabernack ist und ansonsten gerade noch das Glauben glaubt, d.h. die Notwendigkeit irgendeines Sinns als Überlebensnotproviant, sondern er macht sich einen Spaß daraus. Zum Glauben des Glaubens als letzten Inhalts der Religion vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des “Sinnes”, in: ders., Die Antiquitiertheit des Menschen, Bd. 2, München 1980, S. 362 ff.
Soweit zum Stand des öffentlich gemachten Bewußtseins und zum sog. “Stand der Forschung” – zum Erkenntnisstand dagegen vgl. Theodor W. Adorno, Aberglaube aus zweiter Hand, in: ders., Soziologische Schritten Bd. l, Frankfurt 1972, S. 147, sowie den in Anmerkung 10 angegebenen Band “Diktatur der Freundlichkeit”.
[ 9 ] Für die 20er Jahre: Ulrich Linse, Barfüßige Propheten. Erlöser der zwanziger Jahre, Berlin 1983, sowie George L. Mosse, Ein Volk, ein Reich, ein Führer. Die völkischen Ursprü nge des Nationalsozialismus, Königstein 1979. – Für die Gegenwart: Eike Geisel, Lastenausgleich, Umschuldung. Die Wiedergutwerdung der Deutschen, Berlin 1984, und Wolfgang Pohrt, Stammesbewußtsein, Kulturnation, Berlin 1984
[ 10 ] Vgl. Klaus Rink, Vom Elend des Okkultismus. Das Freiburger Okkultmagazin “esotera”, in: Diktatur der Freundlichkeit. Über Bhagwan, die kommende Psychokratie und Lieferanteneingänge zum alltäglichen Wahnsinn. Hg.: Initiative Sozialistisches Forum, Freiburg (Ca Ira Verlag), 21985, S. 199ff.
[ 11 ] Impressum in Nr. 1, Oktober 1984.
[ 12 ] BSR, Eine Botschaft von Gott zu Gott, in: Rajneesh Times v. 27. 7. 1984
[ 13 ] BSR, Das Buch der Geheimnisse. 16 Reden des Meisters. Meditation über das Vigyana Bhairava Tantra, München 1982, S. 88
[ 14 ] Carl Rogers, Encounter-Gruppen. Das Erlebnis der menschlichen Begegnung, Frankfurt 61984, S. 161.
[ 15 ] Vgl. Klaus-Jürgen Bruder, Psychologie ohne Bewußtsein. Die Geburt der behavioristischen Sozialtechnologie, Frankfurt 1982
[ 16 ] Für andere Therapien vgl. Robert Castel; Psychiatrisierung des Alltags. Produktion und Vermarktung von Psychowaren in den USA, Frankfurt 1982
[ 17 ] Sigmund Freud, Das Ich und das Es, in: ders., Gesammelte Werke Bd. 13, S. 277
[ 18 ] Der Titel der Programmschrift des führenden Behavioristen B. F. Skinner, Reinbek bei Hamburg 1976
[ 19 ] Falk-Giselher Pavel, Die Entwicklung der klientenzentrierten Psychotherapie in den USA von 1942-1973, in: Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie, Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, München 1980, S. 26
[ 20 ] Vgl. Arnold Schmieder, Wege der Sozialtechnologie, in: Psychologie und Gesellschaftskritik, 8. Jg. 1984/H. 3, s. 108 ff. ; Richard Sennett, Die Tyrannei der Intimität. Verfall und Ende des öffentlichen Lebens, Frankfurt 1983, v. a. S. 367 ff. und Franz Littmann, Der “normale” Mittelweg zum “wahren” Selbst. Analyse und Kritik grundlegender Denkformen der Gruppendynamik, Marburg 1980.
[ 21 ] Reinhard und Annemarie Tausch, Wege zu uns, Hamburg 1983
[ 22 ] Vgl. die eingehenden Analysen in dem gleichnamigen Band (Anm. 10) und darin meine Analyse: Joachim Bruhn, Unter den Zwischenmenschen. BSR und die Verwandlung der bürgerlichen Gesellschaft zur therapeutischen Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit, S. 59 ff.
[ 23 ] Pavel, a.a.O., S 36
[ 24 ] Aus dem Programm des “Anurag Rajneesh Sannyas Ashram”, Freiburg
[ 25 ] Vgl. Th. W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Frankfurt 1964
[ 26 ] BSR, Das Buch der Geheimnisse, a.a.O., S. 205
[ 27 ] J. A. Elten, Ganz entspannt im Hier und Jetzt, Reinbek bei Hamburg 1979, S. 21 f.
[ 28 ] Karin Petersen (Ma Prem Pantho), Ich will nicht mehr von dir, als du mir geben magst. Monate in Poona und Oregon, Reinbek bei Hamburg 1983, S. 197 und 2l. Über den Zusammenhang von Frauenbewegung und Okkultismus am Beispiel der Petersen vgl. Gabriela D. Walterspiel, Im Dschungel der weiblichen Gefühle. Aus der “Courage”-Redaktion in Bhagwans Ashram, in: Diktatur der Freundlichkeit, a.a.O., S. 107f
[ 29 ] Linse, Barfüßige Propheten, a. a. O., S. 176 und 202
[ 30 ] Ernst Jünger, Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, Stuttgart 1982, S. 101
[ 31 ] Ebd., S. 108
[ 32 ] Vgl. Herbert Marcuse, Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, in: ders., Kultur und Gesellschaft l, Frankfurt 1965
[ 33 ] Rajneesh Times v. 28.9. 1984
[ 34 ] BSR, Das Buch der Geheimnisse, a. a. O., S. 100
[ 35 ] Hans-Jürgen Krahl, Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Frankfurt 1971, S. 306 f. Vgl. auch Hans G Helms, Fetisch Revolution, Darmstadt und Neuwied 1973.
[ 36 ] Cohn-Bendit, Linksradikalismus – Gewaltkur gegen die Alters-Krankheit des Kommunismus, Reinbek bei Hamburg 1968, S. 273
[ 37 ] Petersen, a. a. O., S. 11. Aber andrerseits: “Alles ist so gut, wie es ist” (S. 200)
[ 38 ] Auf diesen Funktionswandel der Liebe macht aufmerksam Christel Neusüß, Die Kopfgeburten der Arbeiterbewegung, Hamburg 1985, v. a. S. 187ff. Zu den bürgerlichen Phantasmen der Weiblichkeit vgl. Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit, Frankfurt 1979
[ 39 ] BSR, Der neue Mensch, a.a.O., S. 143
Aus: Ulrike Heider (Hg.), Sadomasochisten, Keusche und Romantiker. Vom Mythos neuer Sinnlichkeit, Reinbek b.Hamburg: Rowohlt 1986, S. 174 – 189