Roman Rosdolsky

Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ›Kapital‹

Der Rohentwurf des ›Kapital‹ 1857–1858

In Vorbereitung, ca. 750 Seiten, ISBN: 978-3-86259-129-9
Herausgegeben von David Hellbrück. Unter Mitarbeit von Aljoscha Bijlsma, Markus Bitterolf und Norman Jakob | Französisch Broschur

36,00 

 

 

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Beschreibung

Roman Rosdolsky wurde 1898 im österreichisch-ungarischen Lemberg geboren. Während des Ersten Weltkriegs war er Anhänger Friedrich Adlers wie auch Karl Liebknechts und gründete als Soldat den illegalen Bund der Internationalen Revolutionären Sozialdemokratischen Jugend. Rosdolsky war Mitbegründer der Kommunistischen Partei Ostgaliziens, die mit den russischen und ukrainischen Bolschewiki eng kooperierte, und galt als deren Theoretiker. Nach der Niederschlagung der Westukrainischen Volksrepublik im Mai 1919 emigrierte er nach Prag, um Rechts- und Staatswissenschaft zu studieren. 1924 setzte er sein Studium bei Carl Grünberg in Wien fort. Grünberg, der erste Direktor des Instituts für Sozialforschung, sowie dessen ehemaliger Schüler Max Adler prägten Rosdolskys Auseinandersetzung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie.

Vom 1. Januar 1929 bis zur Absetzung David Rjasanows im Jahre 1931 war Rosdolsky Mitarbeiter des Moskauer Marx-Engels-Instituts in Wien. Dabei hatte er den Auftrag, systematisch die Bestände im Haus-, Hof- und Staatsarchiv auszuwerten und Fotokopien der Marx betreffenden Polizeiakten für das Marx-Engels-Institut anfertigen zu lassen. 1934 kehrte er aus Wien nach Lwów/Lemberg zurück und arbeitete bis zum deutschen Überfall auf Polen am dortigen Institut für Wirtschaftsgeschichte. Als die Rote Armee im Herbst 1939 in Folge des Hitler-Stalin-Pakts die Westukraine besetzte, entschloss Rosdolsky sich der bolschewistischen Verfolgung als Trotzkist durch die Übersiedlung ins nationalsozialistisch besetzte Krakau zu entziehen. Dort wurden er und seine Frau Emily im Herbst 1942 von der Gestapo verhaftet, da sie sich ›schuldig‹ gemacht hatten, Juden zu verstecken. Roman Rosdolsky wurde politisch verfolgt, erst nach Auschwitz und später in die Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen deportiert.

1947 emigrierte er mit seiner Frau und seinem Sohn aus Angst vor dem stalinistischen Terror aus dem sowjetisch besetzten Österreich in die USA. Bis zu seinem Tod im Jahr 1967 lebte er in Detroit. Sein Hauptwerk, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ›Kapital‹, über Marxens Grundrisse hatte in den 1970er Jahren starken Einfluss auf die neomarxistische Debatte und galt innerhalb der Neuen Linken als Einstieg in die Kritik der politischen Ökonomie; bereits kurz nach Erscheinen avancierte es zum Standardwerk.

Helmut Reichelt würdigt die Schrift in seiner Arbeit Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs gleich zu Beginn: »Als Roman Rosdolsky im Jahre 1948 zum ersten Male Gelegenheit hatte, den Rohentwurf des Kapitals zu studieren, nahm er an, daß mit der Veröffentlichung dieses umfangreichen Textes eine neue Phase in der Auseinandersetzung mit dem Marxschen Werk eingeleitet würde. Zwar glaubte er nicht – wie man der Vorrede zu seinem Kommentar des Rohentwurfs entnehmen kann –, daß dieser Text in einen breiten Lesekreis eindringen würde; das hielt er wegen der ›eigentümlichen Form und der teilweise schwer verständlichen Ausdrucksweise‹ für ausgeschlossen. Gleichwohl war er überzeugt, daß es in Zukunft kaum mehr möglich sein werde, ein Buch über Marx zu schreiben, ohne vorher die Methode im Kapital und deren Beziehung zur Hegelschen Philosophie genau studiert zu haben: und das würde über kurz oder lang zu einer allgemeinen Klärung vieler ungelöster Fragen im Marxschen Werk beitragen.«

In einem Radio-Essay aus dem Jahr 1969 hebt auch Martin Puder Rosdolskys Arbeit besonders hervor: »Der von Rosdolsky kommentierte Rohentwurf des Kapital wirft auf sie [die Frage, ob Marx überholt sei] deshalb neues Licht, weil er den fließenden Charakter von Kategorien des Marxschen Denkens erkennen lässt, die nach der traditionellen Auffassung ganz fixiert zu sein scheinen.« Weiter heißt es: »Rosdolsky [widersteht] trotz seiner neomarxistischen Grundhaltung allen Versuchen, die Theorie von der Verelendung des Proletariats durch Begriffe wie ›mentale Verelendung‹, ›psychische Verelendung‹ oder gar ›moralische Verelendung‹ zu retten. Selbst den Terminus ›relative Verelendung‹ lehnt Rosdolsky ab. Er geht davon aus, dass derartige Übertragungen, in denen sich der akademische Marxismus gegenwärtig wieder gefällt, nur von der Stumpfheit ihrer Autoren gegenüber wirklichem, physischem Entbehren zeugen.«

Auch auf andere übte Rosdolsky nachhaltigen Einfluss aus. Rosdolskys Arbeit stellt das Marxsche Kapital durch den Rückbezug auf den sogenannten Ursprungstext der Kritik der politischen Ökonomie in einem neuen Licht dar. Damit legte er einen Grundstein für die Neue Marx-Lektüre.

Zur Edition der vorliegenden Ausgabe: Die Neuausgabe beruht in großen Teilen auf den verschiedenen Auflagen, die die Europäische Verlagsanstalt (EVA) in den Jahren 1968 bis 1974 vorlegte und mehrfach veränderte. Unsere Edition enthält eine Seitenkonkordanz zu allen EVA-Auflagen, da die Paginierung in den verschiedenen EVA-Auflagen gleich blieb, auch wenn der Textumfang variierte, da man zwischenzeitlich den abschließenden »Siebenten Teil«, die »Kritischen Exkurse«, ersatzlos gestrichen hatte. Dieser Teil umfasste etwa 200 Seiten und ist in der Neuausgabe enthalten. Ohne den Anspruch auf eine historisch-kritische Ausgabe zu erheben, konnte zudem behutsam ein im Nachlass befindliches Schreibmaschinentyposkript, das auf das Jahr 1955 datiert ist und aller Wahrscheinlichkeit nach von Rosdolsky stammt, berücksichtigt werden, so dass die vorliegende Edition Fehler korrigiert, die sich zwischen der Erst- und den Folgeauflagen einstellten. Alle Zitate wurden geprüft und Abweichungen in editorischen Kommentaren angemerkt; außerdem sind alle Zitate nach heute verbreiteten und zugänglichen Ausgaben nachgewiesen. Fehler in der Kapitelzählung, Rechtschreib- und Grammatikfehler wurden ebenso korrigiert; Eingriffe durch den Herausgeber dokumentiert. Im Vor- und Nachwort des Herausgebers wird erstmals von der Entstehungsgeschichte der Entstehungsgeschichte berichtet, die sich keineswegs einfach gestaltete. Dem Anhang der Neuedition ist ein komplett überarbeitetes Personenregister und eine Auswahlbibliographie der Arbeiten, die Rosdolsky im Rahmen einer Kritik der politischen Ökonomie verfasste, beigegeben.

Zitate

»Plötzlich, sozusagen über Nacht, wurden wir (ich meine mich und Meinesgleichen) dessen gewahr, daß uns von Marx schon ein ganzes Jahrhundert trennt, und daß es deshalb heute unmöglich ist, ein ›Marxist‹ zu sein, ohne zugleich ›Marx-Kritik‹ zu betreiben. Ich habe natürlich nicht die elendige ›Bettelsuppe‹ im Auge, die man heute in Gestalt einer Marx-Kritik in Europa, aber insbesondere in diesem Lande [USA] serviert bekommt; sondern eine wirkliche Kritik, die nicht nur mit vielem aufräumen, aber auch vieles neu entdecken und zu seiner wirklichen Größe erheben wird. Eine solche ›Marx-Kritik‹ scheint mir aber erst in ihren Anfängen zu stecken.« / Roman Rosdolsky an Karl Korsch, Brief vom Juli 1951

»Zurück zu den ›Grundrissen‹! Nicht: weg von Marx zum Positivismus; sondern: zurück zu tiefer verstandenem Marx; und dadurch: zurück zu Hegel.« / Roman Rosdolsky an Otto Morf, Brief vom 13. November 1964

Inhalt

  • Vorwort des Herausgebers zur Neuausgabe
  • Vorrede
  • Erster Teil: Einleitung
    • Wie der Rohentwurf entstand
    • Der Aufbau des Marxschen Werks
      • Der ursprüngliche Aufbauplan und seine Wandlungen
      • Wann und inwiefern wurde der erste Plan aufgegeben?
      • Wie wurde die Planänderung bisher gedeutet?
      • Der methodologische Sinn des ursprünglichen Planes
      • Der Bereich und die mutmaßlichen Gründe der Planänderung
    • Anhang 1: Das Buch von der Lohnarbeit
      • Themata, die in den Bereich dieses Buches fallen sollten
      • Warum wurde das besondere Buch von der Lohnarbeit aufgegeben?
    • Anhang 2: Methodologische Bemerkung zu R. Luxemburgs Kritik der Marxschen Produktionsschemata
    • Karl Marx und das Problem des Gebrauchswerts in der politischen Ökonomie
  • Zweiter Teil: Die erste Formulierung der Marxschen Geldtheorie
    • Vorbemerkung
    • Kritik der Arbeitsgeldlehre
    • »Übergang vom Wert ins Geld«
      • Übergang vom Wert in das Geld«
      • Die Notwendigkeit der Geldbildung
      • Die quantitative und die qualitative Seite des Wertproblems
      • Die Geldbildung und der Warenfetischismus
      • Die Entfaltung der inneren Widersprüche der Geldform
    • Die Funktionen des Geldes
      • Das Geld als Wertmaß
      • Das Geld als Zirkulationsmittel
      • »Das Geld als Geld«
  • Dritter Teil: Der Abschnitt vom Produktionsprozeß
    • Einleitende Bemerkung
    • Das Aneignungsgesetz der einfachen Warenwirtschaft
    • Übergang zum Kapital
    • Ausstausch zwischen Kapital und Arbeitskraft
    • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß
    • Wertschaffung und Werterhaltung im Produktionsprozeß
    • Der allgemeine Begriff und die zwei Grundformen des Mehrwerts
    • Relativer Mehrwert und Produktivkraft
    • Die Produktionsmethoden des relativen Mehrwerts
    • Die »gleichzeitigen Arbeitstage«, das kapitalistische Bevölkerungsgesetz und die »industrielle Reservearmee«
    • Der Reproduktionsprozeß und der Umschlag des Aneignungsgesetzes
    • Die ursprüngliche Akkumulation und die Akkumulation der Kapitalien
    • Anhang: Zur kritischen Würdigung der Marxschen Lohntheorie
      • Die Marxsche Lohntheorie
      • Marx über die Bewegungen des Arbeitslohnes
        • Die allgemeinen Bedingungen der Steigerung der Löhne
        • Der Konjunkturzyklus und die Lohnbewegung
      • Marx’ Lehre vom relativen Lohn
      • Die industrielle Reservearmee als Lohnregulator
      • Die sogenannte ›Verelendungstheorie‹
      • Das Körnchen Wahrheit in der ›Verelendungstheorie‹
      • Schlußbemerkung
  • Vierter Teil: Der Abschnitt vom Zirkulationsprozeß
    • Übergang aus dem Produktionsprozeß in den Zirkulationsprozeß des Kapitals
    • Die Zirkulationszeit und ihr Einfluß auf die Wertbestimmung
    • Der Kapitalumschlag und die Umschlagszeit
    • Die Formbestimmungen des fixen und des zirkulierenden (flüssigen) Kapitals
  • Fünfter Teil: Das Kapital als fruchtbringend. Profit und Zins
    • Verwandlung des Mehrwerts in Profit
    • Das Gesetz der fallenden Profitrate und die Zusammenbruchstendenz des Kapitalismus
    • Fragmentarisches über Zins und Kredit
      • Inwiefern der ursprüngliche Aufbauplan die Behandlung dieser Themata vorsah
      • Der Rohentwurf über das zinstragende Kapital
      • Die Kategorie des »Kapitals als Geld«
      • Kritik des Proudhonismus
      • Der Rohentwurf über die Rolle des Kredits in der kapitalistischen Wirtschaft
      • Die Schranken des Kreditwesens
    • Anhang: Zur neueren Kritik des Marxschen Gesetzes der fallenden Profitrate
  • Sechtster Teil: Abschluß
    • Die historische Schranke des Wertgesetzes
      • Marx über die Entwicklung der menschlichen Individualität im Kapitalismus
      • Die Rolle der Maschinerie als der materiellen Voraussetzung der sozialistischen Gesellschaft
      • Das Absterben des Wertgesetzes im Sozialismus
    • Die Verdinglichung der ökonomischen Kategorien und die »wahre Auffassung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses«
  • Siebter Teil: Kritische Exkurse
    • Der Streit um die Marxschen Reproduktionsschemata
      • Einleitendes
      • Die Diskussion zwischen den »Narodniki« und den »legalen« russischen Marxisten
      • Das Problem der qualifizierten Arbeit
      • Eine Bemerkung über die Frage der ›Fehlrationalisierung‹
      • Joan Robinsons Marx-Kritik
      • Die Neomarxistische Ökonomie
  • Anhang der Neuausgabe
    • Nachwort des Herausgebers: Zur Entstehungsgeschichte der Entstehungsgeschichte
    • Editorische Kommentare
    • Literaturverzeichnis
    • Auswahlbibliographie: Roman Rosdolskys Arbeiten im Rahmen einer Kritik der politischen Ökonomie
    • Personenregister
    • Danksagung

Weitere Titel…

  • Karl Marx

    Das Kapital (1867)

    Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band: Der Produktionsprocess des Kapitals. Erstausgabe von 1867

    September 2022, 808 Seiten, ISBN: 978-3-86259-149-7
    Hardcover | Herausgegeben vom Institut für Sozialkritik
    36,00 

    Die vorliegende Ausgabe umfasst den Originaltext und die Originalpaginierung der Erstauflage sowie eine Seitenkonkordanz zur MEGA2.

  • Helmut Reichelt

    Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx

    2001, 288 Seiten, ISBN: 978-3-924627-76-8
    26,00 

     

     

  • Nadja Rakowitz

    Einfache Warenproduktion

    Ideal und Ideologie

    2. Auflage 2003, 384 Seiten, ISBN: 978-3-924627-65-2
    27,00 

    Gesellschaftskritik, wie sie die Theorie der Zivilgesellschaft übt, sitzt in ihrem Kern dem »Schein der Zirkulation« auf. Indem sie zwei…

  • Helmut Reichelt

    Neue Marx-Lektüre

    Zur Kritik sozialwissenschaftlicher Logik

    2013, 482 Seiten, ISBN: 978-3-86259-116-9
    Unveränderter Nachdruck des 2008 beim VSA-Verlag erschienenen Titels
    31,00 

     

     

  • Friedrich Pollock

    Marxistische Schriften

    Gesammelte Schriften Band 1

    Juni 2018, 362 Seiten, ISBN: 978-3-86259-132-9
    Herausgegeben von Philipp Lenhard | Hardcover | 2. durchgesehene Auflage
    34,00 

    Der erste Band der Gesammelten Schriften Friedrich Pollocks enthält Texte aus der Zeit der Weimarer Republik, die sich mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie auseinandersetzen, insbesondere mit der Wertformanalyse und der Geldkritik.

  • Moishe Postone

    Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft

    Eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx

    2. Auflage von 2010, 616 Seiten, ISBN: 978-3-924627-58-4
    Aus dem Amerikanischen von Manfred Dahlmann, Christoph Seidler u.a.
    38,00 

    In diesem Buch interpretiert Postone die von Marx in seinem Spätwerk entwickelte kritische Theorie grundlegend neu, um die Natur der…

  • Hans-Georg Backhaus

    Dialektik der Wertform

    Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik

    2. Auflage Winter 2011, 4. unver. Nachdruck 2022, 536 Seiten, ISBN: 978-3-924627-52-2
    35,00 

    Seit der Studentenbewegung und ihren Versuchen einer avantgardistischen Marx-Lektüre gehören die Arbeiten von Hans-Georg Backhaus mit Abstand zum besten, was man hierzulande an Einschlägigem lesen darf.